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Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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erwachten Menschen gesehen. Wie hätte ich ihm ins Antlitz schauen können!
     
    Wir müssen lernen wieder wach zu werden und uns wach zu erhalten, nicht durch mechanische Hilfsmittel, sondern durch das unendliche Erwarten des Sonnenaufgangs. Das darf uns selbst im tiefsten Schlummer nicht verlassen. Ich kenne keine ermutigendere Tatsache als die unbestreitbare Fähigkeit des Menschen, sein Leben durch bewußte Anstrengung auf eine höhere Stufe zu erheben. Es will schon etwas heißen, wenn man ein eigenartiges Bild malen, eine Statue meißeln, einigen wenigen Dingen Schönheit verleihen kann. Doch weitaus ruhmvoller wäre es die Atmosphäre, das Medium selbst, durch welches wir hindurchsehen, zu meißeln und zu malen. Moralisch sind wir dazu imstande. Auf die Beschaffenheit des Tages einzuwirken, das ist die höchste Kunst. Jedermann hat die Verpflichtung sein Leben auch in Einzelheiten so zu gestalten, daß es selbst in seiner feierlichsten und kritischsten Stunde als der Betrachtung würdig sich erweist. Wenn wir die klägliche Auskunft, die wir erhalten, zurückweisen oder aufbrauchen würden, dann würden die Orakel uns kurz und bündig mitteilen, wie dies geschehen könnte.Ich zog in die Wälder, weil ich den Wunsch hatte mit Überlegung zu leben, "alle Wirkenskraft und Samen" zu schau'n, zu ergründen, ob ich nicht lernen konnte was ich lehren sollte, um beim Sterben vor der Entdeckung bewahrt zu bleiben, daß ich nicht gelebt habe. Ich wollte nicht das leben, was kein Leben war; das Leben ist so kostbar. Auch wollte ich keine Entsagung üben, höchstens im Notfall. Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen, so herzhaft und spartanisch leben, daß alles, was nicht Leben war, aufs Haupt geschlagen würde. Ich wollte mit großen Zügen knapp am Boden mähen, das Leben in die Enge treiben und es auf die einfachste Formel bringen. Und sollte es sich gemein erweisen, nun dann wollte ich seine ganze, unverfälschte Gemeinheit auskosten, um sie der Welt zu künden. War es jedoch rein, so wollte ich dies aus eigner Anschauung erkennen und imstande sein, bei meinem nächsten Ausflug ehrlich Rechenschaft darüber abzulegen. Die meisten Menschen sind nämlich, meines Erachtens, darüber mit sich im Unklaren, ob das Leben vom Teufel oder von Gott stammt, und so haben sie, "halbwegs übereilt" geschlossen, daß der Hauptzweck des Menschen auf Erden sei "Gottes Lob und Preis zu singen in alle Ewigkeit."
     
    Noch immer leben wir im Staub wie die Ameisen. Und doch berichtet die Sage, wir seien schon vor langer Zeit in Menschen verwendet. Wie Pygmäen kämpfen wir mit Kranichen. Irrtum häuft sich auf Irrtum, Stümperei auf Stümperei und selbst unsere besten Kräfte werden zu überflüssigen, vermeidbaren Jämmerlichkeiten verwendet. Unser Leben wird durch Kleinigkeiten vergeudet. Ein ehrlicher Mensch braucht kaum mehr als seine zehn Finger zum Rechnen. Im ärgsten Notfall kann er ja seine zehn Zehen zu Hilfe nehmen, und den Nest in Bausch und Bogen akzeptieren. Einfachheit, Einfachheit, Einfachheit! Ich sage Dir: Gib Dich mit zwei oder drei Angelegenheiten ab, aber nicht mit hundert oder tausend! Rechne nicht mit einer Million, sondern mit einem halben Dutzend und führe Buch auf Deinem Daumennagel! Auf dem hochflutenden Meere des zivilisierten Lebens gibt es Wolken und Stürme und Untiefen und tausend andere Dinge, die der Mensch nicht außer acht lassendarf. Führt er sein Logbuch nicht gewissenhaft, so wird er scheitern, in den Abgrund sinken und nie den Hafen erreichen. Doch der, dem die Landung gelingt, muß fürwahr ein großer Rechenmeister sein. Vereinfache, vereinfache! Statt drei Mahlzeiten iß, wenn es nötig ist, nur eine, statt hundert Speisen nur fünf, und schränke das übrige im Verhältnis ein. Unser Leben gleicht einem deutschen Bundesstaat, aus kleinen Staaten zusammengesetzt mit ewig wechselnden Grenzen, so daß selbst ein Deutscher niemals genau angeben kann, wie die Grenzlinien verlaufen. Und unsere Nation selbst, mit all ihren sogenannten inneren Verbesserungen, die – nebenbei bemerkt – alle äußerlich und oberflächlich sind, ist eine gerade so schwer zu handhabende und übergroße Organisation, mit altem Hausrat vollgepfropft, über ihre eigenen Fallen stolpernd, ruiniert durch Luxus und leichtsinnige Ausgaben, durch Mangel an Berechnung und an einem würdigen Ziel, wie Millionen Familien im Lande. Die einzige Rettung aber für Land und Leute ist die strengste Sparsamkeit, eine

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