Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
beherzte und mehr als spartanische Einfachheit des Lebens und eine Erhebung unsrer Ziele. Unser Land lebt zu schnell. Die Menschen glauben, es sei von Wichtigkeit, daß die Nation Handel treiben, Eis exportieren, telegraphisch sprechen und wenigstens dreißig Meilen in der Stunde fahren könne, einerlei, ob das Individuum davon Gebrauch macht oder nicht. Ob wir aber wie Paviane oder wie Menschen leben sollen, ist nicht vollkommen sicher. Wenn wir aber, anstatt Schwellen zu fabrizieren und Schienen bei Tag und bei Nacht zu schmieden, an unserm Leben herumhämmern, um das zu verbessern, wer wird dann Eisenbahnen bauen? Und wenn keine Eisenbahnen gebaut werden, wie wollen wir dann zur rechten Zeit in den Himmel kommen? Wenn wir aber zu Haus bleiben und nur das tun, was uns angeht: wer braucht da Eisenbahnen? Wir fahren nicht auf der Eisenbahn, – sie fährt auf uns. Hat man je darüber nachgedacht, was die Schwellen sind, auf denen die Schienen ruhen? Jede Schwelle ist ein Mensch – ein Irländer oder ein Amerikaner. Die Schienen werden darauf gelegt, mit Sand bedeckt und die Wagen rollen glatt hinüber. Die Schwellen schlafen tief, Ihr könnt mir'sglauben. Und alle paar Jahre wird neues Material auf den Erdboden gelegt und überfahren. Darum, wenn manche das Vergnügen haben auf den Schienen zu fahren, haben andere das Unglück überfahren zu werden. Wenn sie aber einen nachtwandelnden Menschen – eine überflüssige, traumverlorene Schwelle am falschen Platz – überfahren und plötzlich erwecken, dann wird der Zug schnell zum Stillstand gebracht, man schreit und fordert Sühne, grade als ob etwas Außergewöhnliches geschehen wäre! Ich habe mit Freuden gehört, daß für je fünf (engl.) Meilen eine Abteilung von Männern gebraucht wird, um die schlummernden Schwellen dort unten wohlgebettet zu erhalten. Dadurch wird wenigstens die leise Hoffnung genährt, daß sie vielleicht eines Tages auferstehen werden.
Warum leben wir in solcher Eile, in solcher Verschwendung? Wir fürchten den Hungertod, bevor wir hungrig sind. Die Menschen sagen: Eine Naht zur rechten Zeit erspart Dir neun. Darum machen sie heute tausend Nähte, um morgen neun zu sparen. Und was die Arbeit anbetrifft: wir haben keine, der irgend welche Bedeutung zukommt. Veitstanz haben wir, und unsere Köpfe können wir nicht ruhig halten. Wenn ich nur ein paar Mal am Glockenseil der Pfarrkirche ziehen würde, als ob es irgendwo brennte, d.h. wenn ich einmal "Sturm" läuten würde, so würde wohl jeder Farmer in der Umgebung von Concord, – selbst derjenige, welcher sich noch am Morgen mit dringenden Geschäften entschuldigt hat – jeder Knabe und ich kann wohl sagen auch jede Frau alles stehen und liegen lassen, um dem Signal zu folgen, und zwar nicht so sehr in der Absicht, das Besitztum den Flammen zu entreißen, als vielmehr – um die Wahrheit zu gestehen – es brennen zu sehen. Denn brennen muß es ja nun doch einmal, und – das wollen wir gleich betonen – wir haben das Feuer nicht angelegt. Man kann sich ja auch das Löschen betrachten und, wenn das gerade so interessant ist wie das Feuer an sich, selbst Hand ans Werk legen, auch bei der Pfarrkirche. Kaum hat ein Mensch ein halbstündiges Mittagsschläfchen gehalten, da hebt er schon beim Erwachen den Kopf hoch und fragt: "Was gibts Neues?" Als ob die übrige Menschheit inzwischen für ihn"auf Posten" gestanden hätte! Andre lassen sich, zweifellos aus keinem andern Grunde jede halbe Stunde wecken. Zum Dank dafür erzählen sie dann ihre Träume. Hat man die Nacht durchschlafen, dann sind Neuigkeiten ebenso unumgänglich notwendig wie das Frühstück. "Ach bitte, erzählt mir irgend etwas Neues, das einem Menschen irgendwo auf dieser Erde zugestoßen ist" – und während man Kaffee trinkt und Semmel ißt, liest man, daß einem Mann heute morgen auf dem Wachitofluß die Augen mit den Daumen aus der Höhle gequetscht sind. Und dabei denkt der Leser auch nicht im entferntesten daran, daß er in der düsteren unergründeten Mammuthöhle dieser Welt lebt, daß er selbst nur rudimentäre Augen besitzt.
Ich für meine Person könnte leicht ohne Post fertig werden. Ich bin der Ansicht, daß sie nur sehr wenige Mitteilungen von Wichtigkeit vermittelt. In meinem Leben habe ich – um kritisch zu reden – nicht mehr als einen oder zwei Briefe bekommen, (ich schrieb dies vor einigen Jahren) die das Porto wert waren. Die Pfennigpost ist in der Regel eine Einrichtung, durch welche man allen
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