Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Ernstes einem Menschen jenen Pfennig für seine Gedanken anbietet, der ihm im Scherz nur allzu oft angeboten wurde. Und daß ich niemals irgend eine bemerkenswerte Nachricht in einer Zeitung las, steht für mich fest. Wenn wir lesen, daß ein Mensch beraubt, ermordet oder durch einen Unglücksfall getötet wurde, daß ein Haus niederbrannte, ein Schiff unterging oder ein Dampfer in die Luft flog, daß eine Kuh durch die "Westliche Eisenbahn" überfahren, ein toller Hund getötet oder ein Schwarm Heuschrecken im Winter gesehen wurde – so brauchen wir das niemals wieder zu lesen. Einmal genügt. Ist Dir das Prinzip bekannt, was kümmern Dich die Myriaden von Beispielen und Anwendungen? Für den Philosophen sind alle sogenannten "Neuigkeiten" Geschwätz; und diejenigen, welche "Neuigkeiten" herausgeben oder lesen, heißen ihm alte Kaffeeschwestern. Doch nicht wenige sind lüstern nach diesem Geschwätz. Noch neulich drängten sich Menschen, welche etwas über die soeben eingetroffenen ausländischen Nachrichten erfahren wollten,in einem Postamt so sehr, daß mehrere große Glasscheiben des Gebäudes durch den Druck zerbrochen wurden. So wurde mir wenigstens erzählt. Und diese Nachrichten hätte ein Mensch mit gesundem Verstande, wie ich allen Ernstes glaube, bereits zwölf Monate oder zwölf Jahre vorher mit hinreichender Genauigkeit schildern können. Nehmen wir einmal Spanien: Wenn einer versteht Don Carlos oder die Infantin und Don Pedro und Sevilla und Granada zur rechten Zeit in zweckentsprechender Dosierung zu verwerten – vielleicht haben sich seit den Tagen, wo ich Zeitungen las, die Namen ein wenig verändert – so wird das alles bis aufs Tüpfelchen stimmen und uns ein just so getreues Bild von dem tatsächlichen Zustand oder Verfall der Dinge in Spanien geben, wie die kürzesten und klarsten Berichte unter dieser Rubrik in den Zeitungen. Und nehmen wir England: Nun, das letzte Stückchen Neuigkeit aus dieser Himmelsrichtung war die Revolution anno 1649. Und wenn man Englands Erntestatistik für ein Durchschnittsjahr durchgesehen hat, so braucht man diesem Gegenstande in Zukunft nie wieder Aufmerksamkeit zu schenken, es sei denn, daß man vom rein pekuniären Standpunkte aus zu spekulieren wünscht. Wenn der Mensch, der selten eine Zeitung durchblättert, solche Dinge zu beurteilen vermag, dann gibt es überhaupt keine neuen Ereignisse im Ausland – selbst nicht einmal eine französische Revolution.
Was scheren mich Neuigkeiten! Wie viel wichtiger ist es das zu kennen, was nie alt war. "Kieou-he-yu, (Großwürdenträger im Staate Wei) schickte einst einen Mann zu Khoung-tseu, um "Neuigkeiten" zu erfahren. Khoung-tseu ersuchte den Boten neben ihm Platz zu nehmen und fragte ihn: Was treibt Dein Herr? Ehrerbietig antwortete der Bote: Mein Herr wünscht die Zahl seiner Fehler zu verringern, aber er wird damit nicht fertig. Als der Bote sich entfernt hatte, sprach der Philosoph: ›Welch trefflicher Bote! Welch trefflicher Bote!‹ Der Pfarrer sollte, anstatt die Ohren schlafmütziger Farmer an ihrem Ruhetage beim Wochenschluß – denn der Sonntag bildet den passenden Abschluß einer schlecht verwendeten Woche und nicht den frischen, mutigen Beginn einer neuen –mit einer abgedroschenen Predigt zu quälen, lieber mit Donnerstimme rufen: "Halt! Haltet ein! Warum scheinbar so schnell und doch so tödlich langsam?"
Lug und Trug werden als unerschütterliche Wahrheiten betrachtet, während die Wirklichkeit eine Fabel ist. Wenn die Menschen nur getreulich die Wirklichkeit beachten und sich nicht täuschen lassen wollten, so würde ihnen das Leben (um es mit etwas, was wir kennen, zu vergleichen) wie ein Zaubermärchen, wie ein Märchen aus "Tausend und eine Nacht" vorkommen. Wenn wir nur auf das unser Augenmerk richteten, was unvermeidlich ist und Existenzberechtigung besitzt, so würden die Straßen von Musik und Poesie widerhallen. Wenn wir ohne Übereilung und weise sind, so erkennen wir, daß nur große und würdige Dinge ewig und absolut sind – daß winzige Sorgen und winzige Freuden nur Schatten der Wirklichkeit darstellen, und dieser Gedanke stimmt froh und stolz. Weil die Menschen ihre Augen schließen und schlafen und sich durch Phantome betrügen lassen, wollen sie überall ihr Leben schematisch – auf rein illusorischer Basis – errichten. Kinder, die Leben spielen , begreifen seine wahren Gesetze und Beziehungen klarer als Erwachsene, die es nicht würdig verbringen können, die sich
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