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Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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die Zeit, wo die Dorfbewohner ihr nächtliches Fasten brachen, hatte die Morgensonne bereits mein Haus so weit getrocknet, daß ich wieder einziehen konnte, ohne daß mein Gedankenflug eine Unterbrechung erlitt. Es machte mir Freude meine ganze Hauseinrichtung dort draußen auf dem Gras zu sehen, wo sie einen kleinen Haufen bildete, wie das Bündel eines Zigeuners. Daneben stand mein dreibeiniger Tisch inmitten von Fichten und Walnußbäumen, von welchem ich Bücher, Feder und Tinte nicht entfernte. Ein jedes schien froh, wenn es ins Freie getragen, betrübt, wenn es wieder hineingetragen wurde. Bisweilen kam ich in Versuchung ein Zeltdach über alles zu spannen, und mich darunter niederzulassen. Es lohnte sich schon der Mühe zu beobachten, wie die Sonne auf all diese Dinge schien, wie der Wind darüber hinstrich; die vertrauten Gegenstände sahen im Freien viel interessanter aus als im Hause. Ein Vogel sitzt auf dem nächsten Ast, Immergrün wächst unter dem Tisch, Brombeerranken schlingen sich um des Tisches Füße. Tannenzapfen, stachlige Hüllen der Kastanien und Erdbeerblätter sind über den Boden verstreut. Es hat den Anschein, als ob auf solche Weise diese Formen auf unsere Möbel, Tische, Stühle und Bettstellen übertragen würden – gerade weil sie einst in ihrer Mitte gestanden haben.
     
    Mein Haus lag am Abhang eines Hügels, unmittelbar am Rand eines größeren Waldes, inmitten einer jungen Anpflanzung von Harztannen und Walnußbäumen, etwa dreißig Schritte vom Teich entfernt, zu dem ein schmaler Fußpfad den Hügel hinunter führte. In meinem Vorgarten wuchsen Erdbeeren, Brombeeren und Immergrün, Beifuß und Goldstab, Zwergeichen und Sandkirschen;Heidelbeeren und Erdnüsse. Gegen Ende Mai schmückte die Sandkirsche. ( cerasus pumila ) die Seiten des Weges mit ihren Blüten, die in Dolden zylindrisch um die kurzen Stengel stehen. Im Herbst aber hingen die Stengel, durch die großen und schönen Kirschen niedergebogen, in Guirlanden wie Strahlenbündel an beiden Seiten über den Weg. Ich kostete die Früchte aus Höflichkeit gegen die Natur; sie waren indessen nicht wohlschmeckend. Der Sumach ( rhus glabra ) wuchs im Überfluß um das Haus herum, arbeitete sich durch den Erddamm, den ich aufgeschüttet hatte und erreichte im ersten Jahre eine Höhe von fünf bis sechs Fuß. Sein breites, gefiedertes, tropisches Blatt bot einen schönen, wenn auch seltsamen Anblick dar. Die großen Knospen, die erst spät im Frühling plötzlich aus den trockenen, scheinbar abgestorbenen Stengeln hervorsproßten, entwickelten sich wie durch Zauberkraft zu anmutigen, grünen, zarten Zweigen von einem Zoll im Durchmesser. Und so sorglos wuchsen sie, so sehr überanstrengten sie ihre schwachen Glieder, daß ich bisweilen, wenn ich an meinem Fenster saß, einen frischen und zarten Ast plötzlich wie einen Fächer zur Erde fallen hörte, während sich kein Lüftchen regte. Sein eigenes Gewicht brach ihn. Im August nahmen die zahllosen Beeren, deren Blüten viele wilde Bienen angelockt hatten, allmählich eine helle, sammetartige, karmoisinrote Farbe an; auch sie bogen und brachen durch ihr Gewicht die zarten Stengel.
     
    Während ich jetzt an diesem Sommernachmittage an meinem Fenster sitze, kreisen Habichte über meiner Lichtung. Der pfeilschnelle Flug wilder Tauben, die zu zweien oder dreien meinen Blick kreuzen oder ruhelos auf den Ästen der Weißtannen hinter meinem Hause auf und ab hüpfen, verleiht der Luft eine Stimme; ein Fischreiher taucht in die spiegelglatte Oberfläche des Sees und bringt einen Fisch in die Höhe. Eine Otter stiehlt sich aus dem Sumpf vor meiner Tür hervor und packt einen Frosch am Ufer. Das Schilf beugt sich unter der Last der Riedmeisen und Rohrdommeln, die hinüber und herüber fliegen. Während der letzten halben Stunde habe ich auch das Rollen der Eisenbahnwagen gehört, in welchen die Reisenden von Boston aufs Land fahren; bald klingt es hinsterbend, bald auflebendwie der Flügelschlag eines Rebhuhns. Ja, ich lebte nicht so weit von aller Welt entfernt wie jener Junge, der, wie mir erzählt wurde, bei einem Farmer im östlichen Teile der Stadt untergebracht wurde, von dort aber bald wieder ausriß und zu Haus ankam, zerlumpt und krank vor Heimweh. Nie hatte er einen solch öden, abgelegenen Platz gesehen! Die Leute waren alle von dort fortgezogen! Ja, selbst die Dampfpfeife konnte man dort nicht hören! ... Ich bezweifle, ob es jetzt noch ein solchen Platz in Massachusetts

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