Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
zu haben, zu Hause sitzen kann. Er vermag natürlich nicht zu begreifen, daß der Gelehrte, obschon er zu Hause bleibt, doch bei der Arbeit auf seinem Felde ist, wie ein Farmer Holz hackt in seinem Walde, daß er für seine Person die gleiche Erholung und Gesellschaft aufsucht wie der Farmer, wenn auch vielleicht in etwas konzentrierterer Form.
Gesellschaft ist meistens zu wohlfeil. Wir treffen uns nach allzu kleinen Pausen wieder und haben darum keine Zeit gehabt neuen Wert füreinander zu erlangen. Dreimal täglich sitzen wir bei den Mahlzeiten zusammen und einer gibt dem andern von dem alten, muffigen Käse, der wir sind, zu kosten. Wir mußten uns einer bestimmten Anzahl von Regeln fügen, die wir Etikette oder Höflichkeit nennen, um dies häufige Zusammensein erträglich zu machen, um offene Fehde zu verhüten. Wir treffen einander auf dem Postamt, an Empfangsabenden und am Kamin, wir leben dicht gedrängt, sind einander im Wege, stolpern übereinander und dadurch verlieren wir, wie mir scheint, etwas den Respekt vor einander. Für jeden wertvollen und herzlichen Verkehr würde ein weniger häufiges Zusammensein genügen. Man denke einmal an Fabrikmädchen: sie sind nie allein, kaum in ihren Träumen. Es wäre besser, wenn es nur einen Einwohner pro Quadratmeile gäbe, gerade wie dort, wo ich lebe. Den Wert des Menschen macht nicht seine Haut aus – wir brauchen ihn darum nicht zu berühren.
Man hat mir von einem Manne erzählt, der, im Walde verirrt, vor Hunger und Erschöpfung am Fuße eines Baumes starb. SeineEinsamkeit wurde ihm durch groteske Visionen erleichtert, mit welchen seine durch körperliche Schwäche erkrankte Phantasie ihn von allen Seiten umgab, und die er für Wirklichkeit hielt. So können aber auch wir mit unserer körperlichen und geistigen Kraft und Gesundheit beständig durch ähnliche, jedoch normalere und natürlichere Gesellschaft ermuntert werden und zu der Erkenntnis kommen, daß wir nie allein sind.
Ich habe viele Gäste in meinem Hause, besonders am Morgen, wenn kein Besuch kommt. Man gestatte mir einige Vergleiche zu gebrauchen, damit dieser oder jener sich einen Begriff von meiner Lage machen kann. Ich bin nicht einsamer als der Taucher, der dort auf dem Teiche so laut lacht, nicht einsamer als der Waldenteich selbst. Was für Gesellschaft hat denn dieser einsame See? Und doch birgt er keinen Trübsinn, sondern Himmelsheiterkeit in seinen Tiefen, in den Azurfarben seines Wassers. Die Sonne ist allein – nur bei dicker Luft scheinen oft zwei da zu sein; doch die eine ist imitiert. Gott ist allein – doch der Teufel ist sicherlich nicht allein; der hat gar viele Kameraden! Der ist Legion! Ich bin nicht einsamer als eine einzelne Königskerze, als ein Löwenzahn auf dem Wiesengrund, als ein Bohnenblatt, als Sauerampfer, Pferdefliege oder Hummel. Ich bin nicht einsamer als der Mühlenbach, der Wetterhahn, der Nordstern, der Südwind, oder ein Aprilschauer, ein Tautag im Januar, nicht einsamer als die erste Spinne im neuen Haus.
Gelegentlich bekomme ich an langen Winterabenden, wenn dicht der Schnee fällt und der Wind in den Wäldern heult, Besuch von einem alten Ansiedler, von dem ursprünglichen Besitzer. Man erzählt, er habe den Waldenteich ausgegraben, mit Steinen gepflastert und mit Tannenwaldungen umsäumt. Er erzählt mir Geschichten aus alter Zeit und neuer Ewigkeit. Uns beiden macht es keine Schwierigkeit einen frohen Abend voll geselliger Heiterkeit und sonniger Lebensanschauung miteinander zu verbringen, obwohl es weder Äpfel noch Apfelwein gibt. Ja, er ist der klügste und lustigste Freund; ich liebe ihn von Herzen. Er lebt jedoch noch mehr im Verborgenen, wie Goffe oder Whalley. Man glaubt zwar, daß er gestorbenist, doch niemand sah sein Grab. Eine ältere Dame wohnt ebenfalls in meiner Nachbarschaft, unsichtbar für die meisten Menschen. In ihrem duftenden Kräutergarten wandere ich gern umher, sammle bisweilen Kräuter und lausche ihren Märchen; sie weiß dieselben meisterhaft zu erzählen und hat einen unerschöpflichen Vorrat bereit. Ihr Gedächtnis reicht weiter zurück als Mythologie. Sie kennt das Urbild jeder Sage, weiß auf welcher Tatsache sie beruht, denn die Ereignisse geschahen allesamt in ihrer Jugendzeit. Eine rotwangige, lustige, alte Dame, der jedes Wetter und jede Jahreszeit behagt, und die wahrscheinlich alle ihre Kinder überleben wird.
Die unbeschreibliche Unschuld und Güte der Natur – Sonne, Wind und Regen, Sommer
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