Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
entfalten, um allmählig ihre Kolonnen zu formieren. Individuen wie Nationen müssen angemessene, weitreichende natürliche Grenzen haben, ein beträchtliches neutrales Gebiet muß zwischen ihnen liegen. Es gewährt mir einen hochgradigen Genuß, wenn ich mich über die Wasserfläche hin mit einem Bekannten am anderen Ufer des Teiches unterhalten kann. In meinem Hause waren wir so nahe beieinander, daß wir gar nicht anfangen konnten zu hören – wir konnten nicht leise genug sprechen, um gehört zu werden. Wenn man zwei Steine nahe beieinander ins Wasser wirft, so stört bekanntlich auch ein Wellenkreis den andern. Sind wir laute Schwätzer, dann allerdings vertragen wir es schon so nahe beisammen zu stehen, daß einer des andern Atem spürt; sind wir aber zurückhaltend und gedankenvoll, dann möchten wir gern weiter voneinander getrennt sein, damit alle animale Wärme und Feuchtigkeit Gelegenheit hat sich zu verflüchtigen. Wenn wir die intimste Gesellschaft genießen, durch welche gerade das in unserer Seele erweckt wird, was außer oder über uns ist, so müssen wir nicht nur im Schweigen verharren, sondern auch körperlich so weit voneinander entfernt sein, daß der eine auf keinen Fall die Stimme des anderen hören kann. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet ist das Gespräch zur Bequemlichkeit der Schwerhörigen da; es gibt aber viele, vortreffliche Dinge, über welche wir nicht reden können, wenn wir schreien müssen. Sobald die Unterhaltung einen stolzeren, erhabeneren Ton annahm, schoben wir unsere Stühle weiter auseinander, bis sie die zwei entgegengesetzten Ecken derWand berührten; doch auch dann war gewöhnlich nicht genügend Platz da.
Meine "beste Stube", mein "Salon", der stets für Besuch hergerichtet war, und auf dessen Teppich selten Sonnenstrahlen fielen, war der Fichtenwald hinter meinem Hause. Kamen an Sommertagen vornehme Gäste, so führte ich sie dorthin und ein unschätzbarer Dienstbote fegte den Boden, stäubte die Möbel ab und gab auf alles wohl acht.
Wenn ein einzelner Gast kam, so nahm er manchmal an meinem frugalen Mahle teil. Wenn ich dann aus Mehl und Milch einen Pudding anrührte und nebenbei das Aufgehen und Garwerden des Brotes in der Asche beaufsichtigte, so erlitt dadurch die Unterhaltung keine Unterbrechung. Wenn aber zwanzig kamen und sich im Hause niederließen, so wurde vom Mittagsessen nichts erwähnt. Und obwohl Brot genug für vielleicht zwei Personen vorhanden war, so stellte man sich so, als ob das Essen eine altmodische Gewohnheit sei. Wir übten Enthaltsamkeit, als sei sie etwas Selbstverständliches. Und darin sah niemand einen Verstoß gegen die Gastfreundschaft. Im Gegenteil, solche Handlungsweise galt als schicklich und rücksichtsvoll. Was an Körperkraft fortwährend verbraucht wird und zerfällt und so oft wieder ersetzt werden muß, schien wunderbarerweise in diesem Falle erhalten zu bleiben: die Lebenskraft hielt tapfer stand. Deshalb konnte ich ebensogut tausend bewirten wie zwölf. Und wenn je einer enttäuscht oder hungrig von meinem Hause fortging, trotzdem ich zu Hause gewesen war, so kann er sich darauf verlassen, daß ich zum wenigsten mit ihm sympathisierte. So leicht ist es, obwohl viele Hausfrauen es bezweifeln, neue und bessere Sitten an die Stelle der alten zu setzen. Man braucht seinen Ruf nicht auf die "Diners" zu gründen, die man gibt. Ich persönlich wurde nie von irgend einem Cerberus so sehr vom Besuch bei meinen Mitmenschen abgeschreckt, als durch die Komödie, die man machte, um mich zu speisen. Ich sah infolgedessen in ihr einen sehr höflichen Wink – von hinten herum –, die lieben Leute nie wieder in Unkosten zu stürzen. Solche Szenen werde ich nie wieder aufsuchen,davon bin ich überzeugt. Ich würde stolz sein, wenn über meiner Hütte als Motto jene Zeilen von Spenser ständen, die einst einer meiner Besucher auf seiner Visitenkarte – auf einem gelben Walnußblatt – zurückließ:
"Dort angekommen füllen sie die kleine Hütte,
"Und fordern weder Speis' noch Trunk – das wär' vergeblich:
"Zum Labsal wird die Ruhe, alles steht zu Diensten.
"Völlig zufrieden sein kann nur der beste Mensch."
Winslow, der spätere Präsident der Plymouthkolonie, wanderte einst mit einem Gefährten zu Fuß durch die Wälder, um Massassoit einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Hungrig und durstig kamen sie zum Wigwam des Königs, der sie freundlich empfing. An jenem Tage war jedoch von irgend einer Mahlzeit nicht die
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