Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
hatte Canada und sein Vaterhaus vor ungefähr zwölf Jahren verlassen, um in den "Vereinigten Staaten" zu arbeiten, Geld zu verdienen und sich späterhin, vielleicht in seiner Heimat, eine Farm kaufen zu können. Er war aus grobem Holz geschnitzt, hatte einen stämmigen, schwerfälligen Körper, den er jedoch ganz anmutig zu bewegen wußte, einen starken sonnverbrannten Nacken, dunkles buschiges Haar und trübe, schläfrige blaue Augen, die bisweilen in der Erregung aufleuchteten. Er trug eine enganliegende, graue Tuchmütze, einen schmutzigen, wolligen Überrock und Stiefeln aus Rindsleder. Er war ein starker Fleischesser. Gewöhnlich trug er sein Essen in einem Zinneimer nach seinem einige Meilen von meinem Hause entfernten Arbeitsplatz; dort fällte er während des ganzen Sommers Holz. Er aß kaltes Fleisch, oftmals ein kaltes Murmeltier und trank dazu Kaffee; ein Steinkrug, der an einem Bindfaden von seinem Gürtel herniederbaumelte, war damit angefüllt. Manchmal bot er mir einen Schluck davon an. Früh am Morgen kam er quer über mein Bohnenfeld dahergeschlendert; er ging nicht hastig und unruhig zur Arbeit wie die Yankees. "Nur keine Überstürzung" schien er zu denken. Ihm genügte es, wenn er nur seinen Lebensunterhalt verdiente.Nicht selten, wenn sein Hund auf der Wanderung ein Murmeltier erlegt hatte, pflegte er sein Mittagessen im Gebüsch stehen zu lassen. Er ging dann anderthalb Meilen zurück, um die Beute herzurichten und im Keller seines Hauses aufzuheben, nachdem er sich eine halbe Stunde lang überlegt hatte, ob er sie nicht bis zum Abend getrost in den Teich versenken könne. Solchen Erwägungen hing er mit Vorliebe nach. Er pflegte auch im Vorübergehen morgens früh zu sagen: "Wie eng beieinander die Tauben heute wieder fliegen! Wenn ich nicht alle Tage Tagelöhner von Beruf wäre, könnte ich mir alles Fleisch, das ich brauche, durch die Jagd verschaffen: Tauben, Murmeltiere, Kaninchen, Rebhühner! Herrgott im Himmel! Ich könnte alles, was ich für die ganze Woche nötig habe, an einem Tage mir verschaffen!"
Er war ein geschickter Holzhauer, und liebte es in seiner Kunst Schnörkel und Ornamente anzubringen. Er fällte seine Bäume in horizontaler Linie dicht über dem Erdboden, damit nachwachsende Triebe kräftiger würden, damit auch die Schlitten ungehindert über die Stümpfe gleiten könnten. Anstatt einen ganzen Baum als Stütze für sein aufgeschichtetes Holz unberührt zu lassen, hackte er soviel von ihm ab, daß nur ein schlanker Stab oder ein Splitter stehen blieb, den man schließlich mit der Hand abbrechen konnte.
Er interessierte mich, weil er so still und einsam und doch so glücklich war. Eine Quelle des guten Humors und der Zufriedenheit strömte aus seinen Augen. Sein Frohsinn war ungetrübt. Bisweilen besuchte ich ihn im Walde bei der Arbeit, beim Baumfällen. Er empfing mich dann mit einem Lachen voll unaussprechlicher Befriedigung und mit einem Gruß in kanadischem Französisch, obwohl er ebensogut Englisch sprach. Wenn er mich herankommen sah, hielt er mit der Arbeit inne und streckte sich mit halbunterdrückter Fröhlichkeit der Länge nach an einem Fichtenstamm, den er gefällt hatte, nieder. Dann schälte er sich ein Stück der inneren Baumborke ab, rollte es zu einer Kugel zusammen, und begann es unter Lachen und Schwatzen zu kauen. Er besaß eine solche Überfülle an animalischer Lebenskraft, daß er sich manchmal, wenn ihn irgend etwas zum Nachdenkenreizte und ihm gefiel, auf die Erde warf und sich lachend auf ihr herumwälzte. Wenn er rundum die Bäume betrachtete, schrie er: "Zum Kuckuck! Ich habe genug Spaß an meiner Holzhauerei! Ich will keine bessere Beschäftigung!" Bisweilen hatte er keine Arbeit; dann vergnügte er sich den ganzen Tag lang in den Wäldern mit seiner Taschenpistole; er schoß für sich selbst beim Herumwandern in regelmäßigen Zwischenräumen Salut. Im Winter machte er ein Feuer an, über welchem er mittags seinen Kaffee in einem Kessel wärmte; und wenn er auf einem Baumstumpf saß, um sein Mittagbrot zu verzehren, dann kamen bisweilen Schwarzmeisen angeflogen, hüpften auf seinen Arm und pickten in die Kartoffel, die er zwischen den Fingern hielt. Er aber pflegte dann zu sagen: "Ich hab' es gern, wenn die ›kleinen Kerle‹ da um mich sind."
In ihm war hauptsächlich der animalische Mensch entwickelt. An physischer Ausdauer und Genügsamkeit war er der Fichte und dem Felsen verwandt. Ich fragte ihn einmal, ob er nicht
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