Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
ob er ohne Geld sich behelfen könne, wies er die praktische Bedeutung des Geldes in einer Weise nach, die sich mit durchaus philosophischen Aufsätzen über den Ursprung dieser Einrichtung deckte, und sogar die Herkunft des Wortes pecunia erklärte. Wenn er einen Ochsen besäße und Nadel und Zwirn in einem Laden einkaufen wolle, so würde es gar bald unbequem und unmöglich werden, jedesmal einen Teil des Tieres zu verpfänden. Er konnte manche Einrichtungen besser verteidigen als ein Philosoph; denn wenn er beschrieb, wie sie ihm erschienen, gab er den wahren Grund ihrer Berechtigung an; durch Nachdenken war ihm kein andrer eingefallen. Ein anderes Mal erzählte man ihm, Plato habe den Menschen als ein zweibeiniges Tier ohne Federn definiert, und infolge dessen habe irgend jemand einen Hahn gerupft und ihn als den Menschen Platos herumgezeigt. Da erwiderte er: "Meiner Ansicht nach liegt aber ein wichtiger Unterschied darin, daß die Knie sich nach der verkehrten Seite biegen!" Manchmal rief er laut: "Wie gern unterhalte ich mich! Zum Kuckuck! Ich könnte mich den ganzen Tag lang unterhalten." Gelegentlich fragteich ihn, als ich ihn während vieler Monate nicht gesehen hatte, ob ihm im Lauf des Sommers ein neuer Gedanke gekommen sei. "Du lieber Gott", antwortete er, "wenn ein Mann, der arbeiten muß wie ich, seine alten Gedanken nicht vergißt, soll er zufrieden sein. Wenn der Mensch, mit dem man zusammen Unkraut hackt, mit einem um die Wette arbeiten will, ja dann, sapperment, muß man seine Gedanken zusammenhalten, man muß ans Unkraut denken." Bei solchen Anlässen fragte er mich bisweilen zuerst, ob ich irgend welche Fortschritte gemacht habe. An einem Wintertage stellte ich ihm die Frage, ob er immer mit sich selbst zufrieden gewesen sei. Ich wünschte ihn darauf hinzuleiten, für den Priester dieser Welt einen Ersatz in seiner Innenwelt und einen höheren Lebenszweck zu suchen. "Zufrieden!" rief er aus, "der eine ist zufrieden, wenn er das tägliche Brot hat und nun den ganzen Tag dasitzen kann, mit dem Rücken nach dem Feuer und mit dem Dickwanst gegen den Tisch, zum Kuckuck!" Es gelang mir übrigens auf keine Weise ihn zu einer geistigen Auffassung der Außenwelt zu veranlassen. Der Höhepunkt seines Begriffsvermögens war ein oberflächliches instinktives Gefühl, wie es auch das Tier aufweist. Das gilt in Wahrheit von den meisten Menschen. Wenn ich ihm irgend eine Verbesserung für seine Lebensführung vorschlug, antwortete er mir, ohne irgend welches Bedauern, daß es dazu zu spät sei. Er glaubte indessen durchaus an Ehrlichkeit und ähnliche Tugenden.
Er besaß bis zu einem gewissen Grade eine positive, wenn auch geringe Originalität, und gelegentlich beobachtete ich, daß er selbständig dachte und seiner eigenen Meinung Ausdruck verlieh. Das ist immerhin ein so seltenes Phänomen, daß ich zu jeder Zeit zehn Meilen weit gehen würde, um so etwas zu erleben. Er ließ sich über die vollkommene Neugestaltung vieler gesellschaftlichen Institutionen aus. Obwohl alles nur zögernd herauskam, obwohl er sich vielleicht nicht einmal klar ausdrückte: ein verständiger Gedanke bildete stets die Basis. Doch sein Denken war so urwüchsig und in das animalische Leben verwoben, daß es, obwohl es vielversprechender war als das eines bloß gelehrten Mannes, selten Früchte zeitigte, die desPflückens wert waren. Er gemahnte daran, daß in den niedrigsten Lebensstellungen geniale Menschen sich befinden mögen, die – einerlei wie bescheiden und unkultiviert sie Zeit ihres Lebens bleiben – stets ihre eigene Ansicht haben oder vorgeben überhaupt nichts zu verstehen. Mögen sie auch unbekannt und zerlumpt sein, sie sind so tief wie der Waldenteich, dessen Tiefe man nur ahnen kann. Mancher Reisende machte einen Umweg, um mich und das Innere meines Hauses zu sehen; die Bitte um ein Glas Wasser diente als Vorwand. Ich teilte solchen Leuten mit, daß ich selbst aus dem Teich zu trinken pflege, wies sie dorthin und bot ihnen leihweise meinen Schöpfer an. Obgleich ich im Verborgenen wohne, blieb ich von den jährlichen Besuchen nicht verschont, die, soviel ich weiß, ungefähr um den ersten April stattfinden, wo jedermann ausfliegt. Im großen und ganzen war ich hierin allerdings vom Glück begünstigt, wenn auch einige merkwürdige Exemplare unter meinen Gästen sich befanden. Närrische Leute aus dem Armenhaus und Gott weiß woher machten mir ihre Aufwartung. Ich gab mir Mühe, daß sie den noch vorhandenen
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