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Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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Verstand anwendeten und mir beichteten. Da in solchen Fällen der Verstand das Gesprächsthema bildete, wurde ich belohnt. Ja, ich fand; daß einige von ihnen verständiger waren als die sogenannten Armenaufseher und Stadträte, und hielt es für angezeigt, daß der Spieß gewendet würde. In bezug auf den Verstand machte ich die Erfahrung, daß kein großer Unterschied besteht zwischen denen, die ihn ganz, und denen, die ihn halb besitzen. So besuchte mich zum Beispiel eines schönen Tages ein ganz harmloser, einfältiger Armenhäusler. Ich hatte ihn oft gesehen, wenn er mit anderen zusammen einen lebenden Zaun bilden half. Er stand oder saß dann inmitten der Felder auf einem Scheffelmaß und gab acht, daß er selbst und das Vieh sich nicht verliefen. Dieser Mensch sprach den Wunsch aus so zu leben wie ich. Er erzählte mir mit der größtmöglichen Einfachheit und Ehrlichkeit, die hoch über oder vielmehr unter allem standen, was man Demut nennt, daß "sein Verstand minderwertig sei". Das waren seine eigenen Worte. Der liebe Gott habe ihn so gemacht, doch er glaube, daß der Herrgott für ihn gerade so gut sorge wie fürdie andern. "Ich bin immer so gewesen", fuhr er fort, "seit meiner Kindheit. Ich bin schwach im Kopfe. Ich glaube, das war Gottes Wille." Und da stand er nun vor mir, um die Wahrheit seiner Worte zu bestätigen. Es war für mich ein metaphysisches Rätsel. Selten traf ich einen Mitmenschen mit solch vielversprechenden Grundlagen an; jedes seiner Worte war einfach, ehrlich und wahr. Und tatsächlich wurde er in dem Maße, in welchem er sich zu erniedrigen schien, erhöht. Ich war anfangs nicht ganz sicher, ob nicht etwa alles an ihm das Resultat einer klugen Politik war. Bald aber wußte ich, daß Wahrheit und Offenheit des schwachsinnigen Armenhäuslers innerstes Wesen ausmachten, und daß auf dieser Basis eine Unterhaltung mit ihm trefflicher gedeihen konnte als die Unterhaltung mit Philosophen.
     
    Ich hatte auch Gäste, die man gewöhnlich nicht unter die Armen der Stadt zählt, die aber dazu gehören – wenigstens zu den Armen der Welt. Das sind Gäste, die nicht Hospitalität sondern Hospitalhospitalität beanspruchen, die dringende Hilfe wünschen und ihrer Bitte eine Einleitung vorausschicken, in welcher verkündet wird, daß sie auf keinen Fall sich selbst helfen wollen. Ich verlange von einem Gast, daß er nicht gerade am Verhungern ist; meinetwegen mag er den besten Appetit haben, und woher er sich den holte, das geht mich nichts an. Bettler sind keine Gäste. Leute kamen zu mir, die nicht wußten, wann sie ihren Besuch zu beenden hatten, obgleich ich wieder an meine Arbeit ging und ihnen aus immer größerer Entfernung antwortete. Leute von allen Graden der Begabung suchten mich auf um die Zeit, wo die Menschen mit Vorliebe Ausflüge aufs Land machen, Leute, die mehr Verstand hatten als sie verwerten konnten: davongelaufene Sklaven mit plumpen Manieren, die von Zeit zu Zeit, wie der Fuchs in der Fabel, horchten, ob die klaffende Meute auf ihrer Spur sei, die flehentlich zu mir emporblickten, als ob sie sagen wollten:
     
    "O Christenmensch, willst Du zurück uns senden?"
     
    Ja, ein Sklave, der tatsächlich entlaufen war, kam zu mir, und ich half ihm weiter – gegen den Nordstern hin. Dann wieder stellte sichein Mensch ein mit einer einzigen Idee, wie eine Henne mit einem Küchlein, das obendrein ein Entlein war. Andere sprach ich, die hatten tausend Ideen und ungekämmte Haare, wie Hennen, die auf hundert Küken acht geben müssen, welche alle einem Käfer nachlaufen; mehr als ein Dutzend geht in jedem Morgentau verloren und die Hüter und Pfleger werden mit der Zeit widerhaarig und schäbig. Da kamen Leute mit Ideen statt mit Beinen, eine Art geistiger Tausendfüßler, in deren Gegenwart man sich fortwährend jucken mußte. Ein Mann schlug mir sogar vor ein Buch auszulegen, in welches alle Besucher ihre Namen einschreiben sollten – wie in den "Weißen Bergen". Doch – Du liebe Zeit – mein Gedächtnis ist zu gut, als daß so etwas nötig wäre.
     
    Einige Eigentümlichkeiten meiner Besucher konnte ich unmöglich übersehen. Mädchen, Knaben und Frauen schienen sich über den Aufenthalt in den Wäldern zu freuen. Sie sahen in den Teich und nach den Blumen und genossen die Stunden. Geschäftsleute, selbst Farmer interessierten sich zumeist für meine Einsamkeit, meine Beschäftigung und für die Entfernung, die mich von dem einen oder anderen Gegenstande trennte, und wenn sie

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