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Waldesruh

Waldesruh

Titel: Waldesruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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bröseligen Felswand befand sich eine ebene Fläche, halb so groß wie ein Fußballfeld, sandig und mit Unkraut bewachsen.
    Verstreuter Müll und Reste von Lagerfeuern zeugten von diversen Feierlichkeiten. Aber nun, am hellen Nachmittag, war alles ruhig und niemand war zu sehen.
    Sie stellten die Räder ab. Janna hatte die Flinte in eine Decke gewickelt und in einem großen Rucksack transportiert. Emily war überzeugt gewesen, dass jeder Mensch sofort erkennen würde, dass da ein Gewehr aus dem Rucksack ragte. Aber den wenigen Spaziergängern und Radfahrern, denen sie unterwegs begegnet waren, schien nichts aufgefallen zu sein. Marie hatte ebenfalls einen Rucksack dabei, in dem sich Munition und ein paar leere Konservendosen befanden.
    »Wir können die Dosen da drüben auf den Stein stellen und versuchen, sie von hier aus zu treffen.« Janna wies auf einen et wa dreißig Meter entfernten Felsbrocken, der mit Gräsern und Moos bewachsen war.
    »Okay, es geht los.« Marie stellte eine Dose Ravioli auf den Stein. »Wer will zuerst?«
    Alle drei sahen sich an.
    »Nur nicht so drängeln«, grinste Janna.
    »Ich glaube, ich will gar nicht«, sagte Emily. Ihre Hände waren feucht.
    »Mach du.« Ausnahmsweise ließ Janna ihrer Schwester den Vortritt. Marie griff nach der Waffe und steckte eine Patrone in den oberen Lauf.
    »Stellt euch hinter mich!«, sagte sie, doch Emily und Janna waren bereits zurückgewichen. Marie entsicherte und hob das Gewehr. »Ist das Ding schwer«, keuchte sie. Der Lauf der Flinte ruckelte ein paarmal hin und her, dann drückte sie ab. Es krachte ohrenbetäubend und zwischen den Knall des Schusses, dessen Echo von der Felswand zurückprallte, mischte sich ein Schrei.
    Marie!
    »Was ist passiert?« Janna eilte zu ihrer Schwester. Marie saß auf dem Boden, das Gewehr noch in den Händen. Sie legte es weg und hielt sich mit der rechten Hand die Wange. »Au, verdammt!«
    »Das war der Rückstoß«, diagnostizierte Janna fachmännisch.
    »Was du nicht sagst!« Marie rappelte sich wieder auf. Die Dose stand völlig unversehrt auf dem Felsen.
    »Lass sehen«, sagte Emily. Maries Wange war ganz rot und auch ihr Schlüsselbein hatte etwas abbekommen.
    »Das zeigen sie nie in den Filmen«, maulte Marie.
    »Ich weiß, was du falsch gemacht hast«, sagte Janna.
    »Ach ja?«
    »Du musst den Schaft fest an Wange und Schulter drücken, damit er keinen Platz hat für den Rückschlag. Das habe ich mal im Fernsehen gesehen, beim Tontaubenschießen.«
    »Das hättest du mir auch vorher sagen können!«
    »Warum? Du bist doch sonst auch immer so schlau! Und aus Schaden wird man bekanntlich klug.«
    »Dann zeig mal, was du draufhast, Frau Klugscheißerin!«
    Janna nahm das Gewehr und lud zwei Patronen. »Wennschon, dennschon«, meinte sie.
    »Rette sich, wer kann«, lästerte Marie und stellte sich neben Emily. Janna trat mit dem Gewehr vor. Sie presste den Schaft fest gegen die Wange und die rechte Schulter, entsicherte und drückte ab. Es krachte zwei Mal hintereinander. Wieder hallten die Schüsse nach, im Hintergrund rieselten Steine die Felswand herab und ein scharfer Geruch breitete sich aus. Sowohl Janna als auch die Dose standen beide noch aufrecht da. Janna klappte das Gewehr auf, die leeren Patronenhülsen sprangen heraus. Sie wandte sich um, grinste und rieb sich die Schulter. »So funktioniert es. Haut aber trotzdem ganz schön rein. Jetzt weiß ich, wozu Tontaubenschützen immer diese gepolsterte Schießweste anhaben.«
    »Getroffen hast du aber auch nicht«, mäkelte Marie.
    »Normalerweise schießt man mit einer Flinte ja nicht auf Dosen, sondern auf bewegliche Ziele«, verteidigte sich Janna und rieb sich die Ohren. »Gott, ist das laut. Alle Jäger müssen taub sein. Wir hätten Ohrenschützer mitnehmen sollen.« Sie wandte sich um. »Was ist mit dir, Emily, möchtest du mal?«
    Emily zögerte, sie war hin und her gerissen. Wie würde sie dastehen, wenn sie jetzt kniff? Wann würde sie je wieder die Gelegenheit haben, mit einer echten Waffe zu schießen? Das Angebot war verlockend und beängstigend zugleich. Lieber Himmel, wenn ihre Eltern auch nur ahnen würden, was sie hier trieb! Sie verspürte eine ähnliche Angst wie im letzten Sommer, als sie zum ersten Mal vom Zehnmeterbrett gesprungen war. Doch da hatte sie den ganzen Sommer Zeit gehabt, sich die Sache anzusehen, mal probehalber raufzugehen und irgendwann einfach zu springen, ohne weiter zu überlegen. Nie würde sie dieses Gefühl vergessen,

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