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Waldesruh

Waldesruh

Titel: Waldesruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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dahin war ja noch viel Zeit.
    Den seltsamen Anruf und das Ultimatum hatten die Mädchen zwar nicht vergessen, aber sie maßen ihm inzwischen nicht mehr so viel Bedeutung zu. Auch ihr penetranter Übernachtungsgast erschien ihnen im Nachhinein zwar unverschämt, aber nicht mehr bedrohlich. Dennoch achteten sie darauf, dass immer jemand zu Hause blieb. »Ich habe keine Lust, hier alles durchwühlt vorzufinden«, meinte Janna.
    Am Sonntagnachmittag gingen Marie und Emily zum Schwimmen an den Baggersee. Marie wies auf eine Gruppe Jugendlicher: »Hey, da drüben ist der Nackte mit dem Hut, weißt du noch?«
    Emily hatte Lennart längst erspäht. »Kann schon sein«, sagte sie und breitete ihre Decke aus.
    »Gehen wir ins Wasser?«, fragte Marie.
    »Nö, vielleicht später.« Emily nahm ihr Buch aus der Tasche, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder musste sie zu ihm hinüberschauen. Lennart war mit einer größeren Clique zusammen, einige davon kannte Emily von Jannas Party. Sie hatten einen Gettoblaster dabei, aus dem Culch a Candel a dröhnte.
    »Denk daran: Jungs sind doof und stinken«, sagte Marie, ohne von ihrem Buch aufzusehen.
    Emily antwortete nicht. Manchmal war Marie noch ein richtiges Kind!
    »Was ’ne Scheißmusik«, knurrte Marie gereizt.
    »Hmm«, machte Emily, die die Musik gar nicht wahrgenommen hatte. Minuten verstrichen. Schließlich seufzte Marie genervt auf: »Geh schon rüber, bevor du ihm noch ein Loch in den Hintern starrst!«
    Einfach rübergehen? Wie stellte sich Marie das vor? Was sollte sie sagen? »Hallo, Lennart!« Schön. Und dann? Was, wenn er sie lästig fand oder gar peinlich, was, wenn er sie abblitzen ließ vor all den anderen? Noch dazu, wenn sie sich die Mädchen in der Gruppe ansah: Sie waren alle älter als sie, trugen knappe Bikinis, Sonnenbrillen im Haar, flirteten, lachten, rauchten...
    Nein, nie im Leben würde sie sich vor denen blamieren!
    Jetzt, dachte sie eine knappe Viertelstunde später. Das ist deine Chance.
    Lennart ging ins Wasser! Allein! Ohne weiter zu überlegen, schnappte sie sich ihr Handtuch und lief zum Ufer.
    Ein hohes Kichern hinter ihr ließ sie zusammenschrecken. Drei Mädchen aus Lennarts Clique rannten an ihr vorbei in den See. Sie bespritzten Lennart, der wiederum zurückspritzte und den kreischenden Mädchen nachsetzte, um sie unterzutauchen.
    Emily stand verkrampft am Ufer, ehe sie sich einen Ruck gab.
    Scheiß auf Lennart, dachte sie und versuchte ihre Enttäuschung herunterzuschlucken. Mit schnellen Schritten lief sie ins Wasser und tauchte tief unter. Das grüne dunkle Nass umfing sie und für einen Moment fühlte sie sich ganz schwerelos.
    Mit einem tiefen Luftzug kam sie an die Oberfläche.
    »Hallo, van Gogh!«
    »Ach, hallo, Lennart. Was machst du denn hier?«
    Eine wahnsinnig intelligente Frage, Emily!
    »Ich geh schwimmen«, grinste Lennart und ihr war, als hätte er gerade ein »Was denn sonst?« hinuntergeschluckt. Doch im merhin achtete er nicht mehr auf die Blödeleien der Mädchen, die hinter ihm kreischten und winkten.
    »Ich wollte gerade zum Floß schwimmen«, sagte Emily schüchtern.
    »Wer zuerst da ist!« Er blinzelte ihr zu und tauchte unter.
    Seine Züge waren kräftig, aber Emily hatte keine Mühe, ihm zu folgen. Sie konnte ihr Glück noch gar nicht fassen. Er hatte diese Mädels tatsächlich links liegen lassen, nur für sie!
    Am Floß legten sie sich auf die warmen Planken und unterhielten sich. Eigentlich redete die meiste Zeit Lennart, aber das war Emily ganz recht.
    Sein Leben erschien ihr ohnehin interessanter zu sein als ihres, er hatte jedenfalls viel zu erzählen. Von seinem bevorstehenden Urlaub in Schweden mit seinen Eltern, von der Theatergruppe, von seiner Band. Er spielte Schlagzeug. »Du kannst ja mal kommen, wenn wir auftreten«, sagte er und Emily war froh, dass er dabei auf dem Rücken lag und nicht sah, wie sie vor Freude rot wurde.
    »Habt ihr oft Auftritte?«, fragte Emily. Sie sah ihn schon im Scheinwerferlicht auf einer Bühne, unter ihm wogte ein Meer kreischender Groupies...
    »Geht so. Wir stehen noch am Anfang unserer grandiosen Karriere«, verkündete er. Er setzte sich auf und fuhr sich durch sein nasses Haar. »Sag mal, was ist eigentlich mit Jannas Großmutter los?«, fragte er.
    Emily erschrak. »Wieso, was soll mit ihr sein?«
    »Es gibt so Gerüchte...«
    »Was für Gerüchte?«
    »Zum Beispiel wundert man sich über Jannas neues Zimmer«, sagte Lennart.
    Man? Axel, dachte Emily.

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