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Waldesruh

Waldesruh

Titel: Waldesruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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noch?«
    »Ja.«
    »War da dieser Mann auch schon im Haus?«
    Moritz nickte.
    »Hast du ihn gesehen?«, forschte Emily.
    Moritz biss sich auf die Unterlippe und sagte verlegen: »Das hat so laut geknackt.«
    »Du hast also nur Geräusche gehört und gedacht, der Mann kommt wieder.«
    »Ja«, gestand Moritz.
    Eine Gruppe Mütter mit kleinen Kindern näherte sich und Moritz, offenbar froh, dem Verhör zu entkommen, rannte ihnen mit lautem Gebrüll entgegen. Emily stand ebenfalls auf.
    Die Kirchturmuhr schlug zwei Uhr. Sie musste sich beeilen. Der Ferienmalkurs bei Frau Kramp begann um drei und Emily sehnte den Unterricht geradezu herbei. Er war ein Stück Normalität in all dem Chaos, etwas, das nichts mit toten Menschen zu tun hatte.
    »Was habt ihr denn vor?« Janna und Marie standen abfahrbereit neben ihren Rädern. An Jannas Lenker hing die große Badetasche, aus der zwei Holzstiele lugten. Außerdem erkannte Emily eine Thermoskanne, zwei Flaschen Cola, Chips und Pappteller. Auf dem Gepäckträger von Maries Rad klemmte die große Badedecke.
    »Was wird das? Ein Totengräber-Picknick?«, fragte Emily fassungslos.
    »Wir bereiten nur die Grube vor«, antwortete Janna. »Ich sehe nicht ein, warum wir uns dafür wieder die ganze Nacht um die Ohren schlagen müssen.«
    »Das ist unsere Tarnung«, erklärte Marie. »Wenn jemand vorbeikommt, ziehen wir die Decke über das Loch und legen die Pappteller drauf, kapiert?«
    »Ah ja.«
    »Dann reicht es nämlich auch, wenn heute Nacht zwei von uns mit der Schubkarre in den Wald fahren. So müssen wir Moritz nicht wieder alleine lassen.« Sie zögerte einen Moment. »Kommst du nun mit?«
    Emily dachte nur einen winzigen Moment an den Malkurs, an das Stück Normalität, das sie herbeigesehnt hatte. Dann nickte sie. »Ich komm mit euch«, sagte sie, obwohl sie schon beim Gedanken an die Buddelei Muskelkater bekam. Aber sie wollte die beiden jetzt nicht im Stich lassen. Insgeheim hoffte sie, dass sie diejenige sein würde, die heute Nacht bei Moritz bleiben durfte.
    So war es auch. Gegen Mitternacht sah Emily den Schwestern nach, wie sie im Schutz der Dunkelheit die Schubkarre mit der in den Teppich gewickelten Leiche durch den Garten schoben. Dieses Mal schien der Mond vom Himmel und setzte die Szene in ein silbriges Licht. Das Grab war vorbereitet, tief und dunkel wartete es im Wald. Zwei Stunden hatten sie gebraucht, um es auszuschaufeln. Diesmal hatten sie eine günstige Stelle ausge sucht, in einer Senke mit feuchtem Boden, was das Graben sehr erleichtert hatte.
    »Übung macht den Meister«, hatte Marie lapidar festgestellt und Emily war völlig fassungslos gewesen über die eiserne Beherrschung, die Marie an den Tag legte. Sie schien die Tatsache einfach wegzustecken, dass sie vor wenigen Stunden einen Menschen erschossen hatte. Oder verdrängte sie das, was geschehen war? Emily dachte an den Nachmittag, als Marie ihre Fragen einfach ignoriert hatte und joggen gegangen war. Lief sie vor dem, was geschehen war, davon? Vielleicht würden die Nachwirkungen der Ereignisse erst später über sie hereinbrechen – und dann womöglich umso heftiger?
    Emily wünschte sich sehnlichst, einen Weg zu finden, ihrer Freundin zu helfen, doch ihr fiel nichts ein.
    Ganz im Gegenteil – ein paarmal an diesem Nachmittag hatte sie sich dabei ertappt, wie sie die Tage bis zum Ende ihres Aufenthaltes in Außerhalb 5 zählte. Gut die Hälfte davon war inzwischen vorüber, etwas mehr als zwei Wochen. Es kam ihr vor, als wären zwei Jahre vergangen. Wenn ihre Eltern zurückkamen, würden sie eine andere Emily vorfinden.
    Nachdem Marie und Janna in der Dunkelheit verschwunden waren, versuchte Emily, ihre Gedanken zu ordnen. Am besten konnte sie Marie helfen, wenn sie herausbekam, was dieser Fremde überhaupt von den Schwestern gewollt hatte!
    Was sie heute Nachmittag von Moritz erfahren hatte, war ein wichtiges Stück in dem ganzen Puzzle.
    Nun musste sie die Dinge nur in die richtige Reihenfolge bringen.
    Okay, was hatte sie?
    Dieser »böse Mann« besucht Frau Holtkamp an jenem Nachmittag und bedrängt oder bedroht sie wegen des ominösen Bil des. Darüber regt sich Frau Holtkamp so auf, dass ihr Herz nicht mehr mitmacht. Tage danach schleicht sich dieser Mann als Obdachloser ins Haus ein. Warum? In der Hoffnung, das Bild dort zu finden? Um herauszukriegen, was mit Frau Holtkamp los ist, von der er seit über einer Woche nichts gehört oder gesehen hat? Vielleicht war am Tag zuvor ein erstes

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