Waldesruh
das morgen nicht herum.« Emily vergrub ihr Gesicht in den Händen.
Janna schüttelte den Kopf. »Wenn dir ein Siebenjähriger erzählt, dass seine Schwester den bösen schwarzen Mann erschossen hat, was würdest du denken?«
»Dass die beiden zu viele Killerspiele am Computer spielen«, antwortete Emily und brachte sogar so etwas wie ein Lächeln zustande.
»Eben. Je grotesker die Wahrheit ist, desto weniger wird sie geglaubt.«
Marie schwieg.
Dann standen alle drei im Wohnzimmer vor der Blutlache, aus der heraus Fußspuren durchs ganze Zimmer führten.
»Ich habe vergessen, dass das Ding geladen ist«, sagte Marie und plötzlich klang ihre Stimme ganz kindlich. »Ich...dawar noch die letzte Patrone von Emily im Lauf. Ich hätte das nicht vergessen dürfen. Was, wenn ich Moritz getroffen hätte?«
Janna packte ihre Schwester bei den Schultern. »Es ist ihm aber nichts passiert, Marie«, sagte sie beschwörend. »Du hast Moritz das Leben gerettet. Ich hab die Augen von diesem Typen gesehen. Der hätte vielleicht wirklich...«Sie schluckte. »Ich hatte eine Scheißangst, dass er schießt.«
»Ich auch.« Emily nickte.
Marie sah von einem zum anderen, dann drehte sie sich wortlos um und holte Eimer und Schrubber. Emily und Janna beeil ten sich, ihr zu helfen, und so putzten sie über eine Stunde. Die Bücher, die am meisten abbekommen hatten, verbrannten sie gleich im Kamin. In der Wärme, die dadurch entstand, wurde der klebrig-süßliche Blutgeruch noch intensiver. Janna musste während des Putzens zweimal in den Garten hinaus, um sich zu übergeben, aber sie arbeitete danach klaglos weiter. Auch Emily wurde von Zeit zu Zeit übel, dann ging sie ein paar Minuten vor die Tür und atmete die klare Nachtluft ein. Nur Marie wischte ruhig und systematisch den Boden, wrang den blutigen Lappen aus und trug den Eimer, wenn er voll war, hinaus und entleerte ihn über dem Gully. Doch sie sagte die ganze Zeit kein einziges Wort.
Als der Morgen graute, war das Wohnzimmer wieder einigermaßen sauber, nur auf den Dielen vor dem Bücherregal blieb ein dunkler Fleck zurück.
»Das trocknet raus«, meinte Janna. »Und wenn nicht, dann legen wir den Teppich aus meinem Zimmer drüber.« Sie streckte sich – ihre Gelenke knackten hörbar – und ging zum Fenster hinüber. »Was machen wir mit dem Auto?«, fragte sie.
»Welches Auto?«, wollte Emily wissen.
»Hinter der Schranke steht ein schwarzer Golf.«
»Am besten in einer Gegend abstellen, wo er sofort geklaut wird«, lautete Emilys Vorschlag. »Fragt sich nur, wer den Wagen fährt.«
»Ich«, sagte Janna.
»Du hast doch gar keinen Führerschein.«
»Das heißt nicht, dass ich nicht fahren kann.«
»Wir suchen den Autoschlüssel und stellen ihn erst mal in die Garage«, schlug Marie vor. Es war das erste Mal seit Stunden, dass sie wieder etwas sagte. Ihre Stimme klang fest, sie schien sich wieder etwas gefangen zu haben.
Janna parkte den Fiesta aus und zu ihrer aller Erstaunen übernahm Marie es, den Toten in der Schubkarre zu durchsuchen. Der Schlüssel steckte in seiner Hosentasche, es war ein Mietwagen, wie das Schild am Schlüsselbund verriet. Janna fuhr den Wagen in die kleine Blechgarage hinter dem Haus und schloss das Tor ab.
Der Himmel im Osten färbte sich rot, es war inzwischen fünf Uhr und schon taghell. Doch keines der Mädchen wollte schlafen gehen, alle hatten Angst vor ihren Träumen. Janna kochte eine Kanne Kaffee.
»Schaut mal.« Marie hatte in der Jacke des Toten nicht nur den Autoschlüssel, sondern auch dessen Handy – leider ausgeschaltet – und eine Schlüsselkarte vom Hotel Maritim in Hannover gefunden. »Er kommt gar nicht von hier.«
»Wenn wir nur wüssten, was für ein Bild der haben wollte«, grübelte Emily. »Wenn einer extra deswegen hierherkommt und ins Hotel zieht, dann muss es doch ziemlich wertvoll sein, oder?«
»Bild hin oder her. Wir müssen erst einmal überlegen, was wir mit der...mit dem Toten machen«, sagte Janna. Sie rieb sich über die Stirn. »Ich fürchte, wir haben nicht viel Auswahl.«
Marie sah sie stumm an und nickte.
Da erst begriff auch Emily.
»Heißt das, wir müssen schon wieder eine Leiche verbuddeln?«
Moritz erwachte gegen Mittag. Er schien die nächtlichen Ereignisse gut verdaut zu haben, jedenfalls sah er keinen Grund, nicht zu seinen Ferienspielen zu gehen. Emily bot sich an, ihn hinzubringen. Sie verspürte den dringenden Wunsch, das Haus, in dem sich während der letzten Stunden so viel
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