Waldos Lied (German Edition)
wir würden ihn mit allen königlichen Ehren empfangen, dann wartet er vielleicht, bis alles dazu bereit ist. Lasst mich nachdenken. Wie wäre es denn, wenn Ihr ihm eine entsprechende Botschaft schicktet? «
Rudolf schaute mich nachdenklich an. »Was könnte denn in dieser Botschaft stehen? «
»Bittet Heinrich doch, zunächst nicht selbst zu kommen, sondern den Papst oder seine Mutter Agnes von Burgund vorauszuschicken, damit ihm hier ein würdiger Empfang bereitet werden kann. Dann denkt er, wir hielten ihn für unseren rechtmäßigen König. Außerdem gibt er Papst Gregor dann vielleicht das sichere Geleit, damit er endlich zu uns kommen kann.«
»Das könnte auf Heinrich Eindruck machen. Er liebt in seiner maßlosen Selbstüberschätzung jede Art von Schmeichelei«, stimmte Rudolf zu.
»Und an den Papst senden wir ebenfalls einen Brief. Er kann auf keinen Fall zum verabredeten Zeitpunkt zur Versammlung der Fürsten in Augsburg sein. Schreibt ihm, dass sie deshalb verschoben wurde und ihr ihm eine Nachricht schicken werdet, sobald erneut Zeit und Ort feststehen.«
Wieder verließen zahlreiche Boten die Burg, zwei davon in Richtung Italien. Herzog Rudolf hätte die Botschaft an Heinrich allerdings nicht schreiben müssen. Denn dieser ließ seinen »lieben und treuen Freunden«, den Fürsten des Reiches, mitteilen, er könne leider noch nicht zurückkommen. Dringende Geschäfte hielten ihn in Italien fest. Er sei so lange nicht in diesem Land gewesen, dass er seine italienischen Untertanen jetzt nicht durch eine schnelle Abreise enttäuschen könne. Und Papst Gregor bekam jedoch von ihm immer noch kein freies Geleit.
Ich weiß nicht, was der wirkliche Grund dafür war, dass Heinrich nicht kam. Vielleicht wagte er es trotz seines Heeres nicht, die Alpen zu überqueren. Vielleicht hielt ihn der strenge Winter ab. Vielleicht wollte er aber auch mit Hilfe der lombardischen Bischöfe den Papst absetzen, solange er noch in Italien weilte. Wahrscheinlich war es ein wenig von allem.
Rudolf und die anderen Fürsten des Reiches, die beschlossen hatten, einen neuen König zu wählen, kamen noch im Februar zum Fürstentag zusammen. Allerdings nicht wie ursprünglich vorgesehen in Augsburg, sondern in Ulm, wo sich viele von ihnen schon die beiden Male zuvor getroffen hatten. Dort wurde beschlossen, nur wenige Wochen später, nämlich Mitte März, zu einem weiteren Fürstentag zusammenzutreffen, um sich endgültig für einen neuen König zu entscheiden. Zum Ort des Treffens wurde Forchheim bestimmt.
Ich war dieses Mal in Ulm allerdings nicht dabei. Denn Rudolf hatte es mir gestattet, die Zeit seiner Abwesenheit zu nutzen, um endlich wieder einmal nach St. Blasien zu gehen. So stapfte ich also durch tiefen Schnee und klirrenden Frost den Weg zur Abtei hinauf.
Ich war glücklich, wenigstens für eine Weile dort sein zu können. Und ich sah, dass sich in der Zeit meiner Abwesenheit dort vieles zum Besseren gewandelt hatte. Zu den Gebäuden des Klosters waren einige neue dazugekommen; man hatte die letzten verbliebenen, noch hölzernen Gebäudeteile fast alle durch steinerne ersetzt. So gab es jetzt auch ein festes Kornhaus aus granitenem Bruchstein, ferner eine Mühle sowie Ställe, eine Hofküche sowie ein Siechenhaus mit einer kleinen Kapelle. Auch der Klostergarten war erweitert worden. Besonders stolz war Abt Giselbertus aber auf die neue, straffe Verwaltungsordnung, die er wegen des weitverstreuten und durch Schenkungen weiter angewachsenen Klosterbesitzes eingeführt hatte. Ich kam zurück in ein gut geordnetes, friedliches Gemeinwesen von arbeitsamen Menschen.
Die neuen Regeln hatten im Laufe der Zeit viele große Herren aus adligen Familien angezogen. Selbst die, die sich vorher in der Welt der Grafen bewegt hatten, klagten nicht, wenn sie die Schweine oder die Rinder hüten mussten. Sie dienten unter den Mönchen in der Bäckerei und in der Küche. Je vornehmer sie in der Welt waren, um so niedrigere Pflichten wollten sie verrichten. Unter ihnen waren Lampert von Vanow, Ulrich von Sulz, Berthold von Frickingen und Werner von Kaltenbach. Ulrich von Usenberg, der die Gefahr eines Schiffbruchs auf dem Rhein mit Mühe überstanden hatte, ließ sich in seinem Eifer sogar in einer winzig kleinen Unterkunft einschließen. Er aß kein Schmalz, keinen Käse und keine Eier und folgte der Übung des Schweigens die ganze Woche über bis zum Samstag. An diesem Tag kam ein Priester aus dem Kloster zu ihm und nahm ihm die
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