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Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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sollten.
    Nun gibt es aber direkt an der Regnitz, nicht weit von Forchheim entfernt, eine große Flur, auf der einen Seite begrenzt von dem Fluss Regnitz, auf der anderen von Wäldern. Dort liegt eine uralte Versammlungsstätte. Die Einwohner dieser Gegend nennen sie Pilatusflur. Denn dort sollte der römische Statthalter von Jerusalem, Pontius Pilatus, geboren worden sein. Und dort sollte er auch eine Stadt gebaut haben, die unterging, nachdem Jesus am Kreuz gestorben war. Es lief mir ein Schauer den Rücken hinunter, als mir ein Diener am Vorabend der Wahl diese Geschichte erzählte, die er von einem Mann aus Forchheim gehört hatte. Ich tat sie jedoch als bedeutungslos ab. Dennoch musste ich sofort an das Schwert der Rose und die Splitter vom Kreuz Jesu denken, nach denen ich nun schon so viele Jahre suchte.
    Die ganze weite Pilatusflur war schwarz von Menschen, als der erste Tag der Versammlung heraufdämmerte. Drei zehn Erzbischöfe und Bischöfe waren mit großem Gefolge und viel Prunk gekommen — aus Würzburg, Worms, Passau, Sachsen —, und auch der Erzbischof Siegfried von Mainz, dem als höchstem der Kirchenfürsten die Weihe des neuen Königs oblag. Da waren die Herzöge und Grafen aus Sachsen, die Edlen aus Schwaben, Berthold von Zähringen und seine Leute. Dazu noch die beiden Legaten, die Papst Gregor geschickt hatte, weil er selbst nicht kommen konnte, bis Heinrich ihm sicheres Geleit zusicherte, nämlich Diakon Bernhard und Abt Bernhard von Marseille. Einen suchte ich jedoch in der Menge vergeblich: Welf von Baiern. Wie ich erfuhr, hatte er, wie einige andere Fürsten auch, eine Abordnung von Männern geschickt. Sie sollten der Versammlung ausrichten, dass ihre Fürsten alles billigen wollten, was in Forchheim beschlossen würde.
    Wenn dieser Ort eine Wiese gewesen wäre, nach der Versammlung der Fürsten hätte es auf der Pilatusflur sicher keinen Grashalm mehr gegeben. Doch die Flur war bereits, als wir kamen, kahl und lag offenbar seit langem brach. Noch etwas war eigenartig an diesem Ort: Nicht weit vom Ufer der Regnitz entfernt gibt es eine Gruppe von zwölf großen Felsbrocken. Die Zwölf ist bekanntlich eine heilige Zahl, denn unser Herr Jesus hatte zwölf Jünger. Niemand konnte mir erklären, wie die Steine dort hingekommen sein mochten. Die Menschen sagten, sie seien schon immer dort gewesen und vielleicht die Reste der versunkenen Stadt des Pontius Pilatus.
    Als ich sie sah, fühlte ich mich sofort an die Dolmen und Menhire erinnert, die ich in der Bretagne gesehen hatte, nur dass die Steine nicht so hoch waren. Acht dieser Steine waren in einem Halbkreis angeordnet. In diesem Halbkreis standen drei weitere Felsbrocken, die zusammen ein Dreieck bildeten. Alle diese elf waren wiederum nach Süden in Richtung der Mittagssonne ausgerichtet, auf den zwölften, den größten dieser Felsen zu. Niemals während der ersten beiden Tage der Beratungen sah ich irgend jemanden auf diesen Steinen sitzen. Obwohl sie — bis auf den zwölften, der alle anderen überragte — für genau diesen Zweck dorthin gebracht worden zu sein schienen. Ein durchschnittlich großer Mann konnte sich bequem auf einem solchen Stein niederlassen.
    Zwei Tage lang verhandelten sie. Zuerst verlasen die Legaten die Botschaft des Papstes. Gregor wünschte der Versammlung besonnenes Vorgehen und dass die leidige Angelegenheit zum Wohle des Reiches geregelt werden möge. Er entschuldigte sich wortreich für sein Fernbleiben, bat gleichwohl darum, dass die Fürsten mit der Wahl eines Königs warten sollten, bis er dabei sein könne. Wenn sie es aber für unabdingbar hielten, um die Not für die Menschen zu beenden, dann sollten sie sofort einen neuen Herrscher wählen. Gregor hatte seinen beiden Legaten außerdem eine mündliche Botschaft mitgegeben. Darin versicherte er, den Mann als König anzuerkennen, den die versammelten Fürsten dazu bestimmen würden.
    Auf diese Nachrichten hin erhob sich eine große Diskussion. Jeder der Fürsten stand auf und legte seine Sicht des Zustandes des Reiches dar. Zuerst die Großen unter ihnen und dann auch die Geringeren. Es gab nur zwei, die sich zurückhielten. Der eine war Siegfried, der Erzbischof von Mainz. Der zweite war Rudolf von Schwaben. Keiner von ihnen wollte die anderen in seinem Sinne beeinflussen. Am Abend des zweiten Tages war klar, dass es einen neuen König geben würde. Wieder gab jeder einzeln seine Stimme ab. Und ob Sachse oder Schwabe, fast alle sprachen für Rudolf von

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