Waldstadt
Eigentlich sind solche Rambo-Methoden nicht unser Stil.«
»Noch nie gewesen«, pflichtete ihm Wellmann bei.
Sternberg begann ärgerlich zu werden: »Wozu haben wir die Phantombilder dann, wenn wir sie nicht veröffentlichen? Sie waren doch auch dafür, Chef! Bekommen Sie jetzt kalte Füße?«
»Nein, Jan, bitte versteh mich nicht falsch. Ich bin immer noch überzeugt von unserem Vorgehen, aber vielleicht fällt uns noch ein Weg ein, wie wir weniger Aufsehen erregen.«
Auch Paul Wellmann teilte Lindts Bedenken. »Vier von denen sind ja auf jeden Fall unschuldig. Vier ganz normale Männer«, er warf einen Blick auf die Bilder, »jung bis mittelalt, vielleicht schon Familienväter. Wahrscheinlich haben sie einen Arbeitsplatz, einen Bekanntenkreis und plötzlich tauchen sie als Phantombild in der Zeitung auf. Das wäre doch katastrophal!«
»Wenn wir den einen, der übrig bleibt, aber dadurch schnappen, ist es das Opfer wert«, gab Sternberg eingeschnappt zurück.
Lindt machte dem Konflikt ein Ende: »Wir warten noch«, entschied er. »Wozu haben wir die BePo? Die schicken wir mit diesen Bildern auf die Straße. Wenn dann jemand erkannt wird, bekommen wir gleich Rückmeldung und können die betreffende Person unmittelbar und ohne großes Aufsehen überprüfen.«
Paul Wellmann nickte: »Gefällt mir besser, Oskar. Wir müssen auch überlegen, was passiert, wenn der Mörder sich selbst in der Zeitung sieht, bevor ihn jemand erkennt.«
Jan Sternberg wurde kleinlaut: »Der wäre natürlich gewarnt und haut schleunigst ab.« Etwas trotzig ergänzte er: »Aber vielleicht ist er ohnehin schon fort, bei dem ganzen Wirbel.«
An diesem Abend war Lindt voller Zweifel, als er nach Hause fuhr. Die Meinungsverschiedenheiten wegen den Phantombildern ließen seinen Optimismus schrumpfen. War es richtig, wie sie vorgingen? Hatten sie etwas Wichtiges übersehen?
Er musste Jan recht geben. Der Mörder war vielleicht schon über alle Berge. Aber in diesem Fall könnte man ihn wenigstens durch die Bilder identifizieren. Auch in einer verlassenen Wohnung würde sich bestimmt DNA-Material finden. Sollte sich dann der Verdacht bestätigen, müsste man eben weiträumig nach ihm fahnden.
»Könnte, sollte, würde, müsste«, sagte er leicht gereizt zu Carla. »Ich denke nur noch im Konjunktiv. Dabei müsste ich eigentlich ganz zuversichtlich sein.«
»Ja«, nickte sie zustimmend, »diese Riesenaktion verläuft genau nach Plan und mit diesen Bildern kommt ihr bestimmt weiter.«
Er umarmte sie. »Hauptsache, du nimmst unser Auto und nicht das Fahrrad, um zur Arbeit zu kommen. Wenn wir ihn haben, dann kannst du von mir aus wieder radeln, soviel du willst.«
Carla versuchte zu lächeln. »Das Parkhaus kostet aber ganz schön viel und dann mit dieser großen Kiste im Stadtverkehr – nicht gerade ein Vergnügen.«
»Du hast den alten Mercedes doch geerbt, nicht ich«, gab er zurück.
»Ich würd ja die Straßenbahn nehmen, aber umsteigen und dann noch zehn Minuten zu Fuß, das ist auch ganz schön lästig.«
»Bald schnappen wir ihn, bestimmt. Jetzt ziehen wir die Schlinge zu!«
Ja, die Schlinge! Der Kommissar ahnte nicht, was genau damit zwei Stockwerke über ihm geschah. Hingebungsvoll wurde dort ein fünfter Lackring angebracht. Exakt einen Zentimeter breit und in glänzendem Königsblau. Lila und schwarz fehlten noch, um den Schmuck der beiden Griffhölzchen vollkommen zu machen.
Versonnen lächelte der Lehrer vor sich hin. Er war mittlerweile völlig ruhig und entspannt, er fühlte sich richtig wohl. Eigentlich hatte er dazu überhaupt keinen Grund – ganz im Gegenteil. Bis zum Abschluss der Untersuchungen war er vorläufig vom Dienst suspendiert worden, außerdem drohte eine Versetzung. Genau das bedeutete aber, dass er nie wieder nach Neureut in diese verhasste Schule musste. Nie wieder würden diese aufsässigen Schüler ihn demütigen und nie wieder würden diese eingebildeten Kollegen ihn ihre Verachtung spüren lassen.
Er glaubte fest an eine Stelle in seiner Heimat. Auf dem Land, so redete er sich immer wieder ein, hätten die Schüler noch mehr Achtung vor einem Lehrer. Sie würden zu ihm aufsehen – ganz bestimmt! Wenn seine Mutter das noch hätte erleben können … Manchmal wunderte er sich, wie problemlos er mit ihrem Tod zurechtkam.
Natürlich, klar, ohne Verhandlung ginge das Ganze nicht ab. Strafprozess – Disziplinarverfahren, doch er war sich völlig sicher, dass er alle Vorwürfe problemlos
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