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Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen

Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen

Titel: Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Dahn , Therese Dahn
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geisa, wüten (von Feuer oder Leidenschaft), gotisch ut-gaisjan, ausser sich bringen; andre vergleichen litauisch gaistas, Schein, altnordisch geisti, Strahl; s. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Strassburg 1883.] .
    Wotan, der Gott des Lufthauchs, ist also auch der Gott des Geisteshauchs; und zwar des Geistes in seinem geheimnisvollen Grübeln, in seiner tiefsten Versenkung in die Rätselrunen des eignen Wesens, der Welt und des Schicksals; wer der Natur und der Geschichte ihre Rätsel abfragen, wer die Ursprünge und die Ausgänge aller Dinge ergründen, wer Gott und die Welt im tiefsten Wesenskern erforschen, d. h. wer philosophieren will, der tut wie Odin; Odin, der "grübelnde Ase", wie ihn bezeichnend die Edda nennt. Ahnungsvoll hat der deutsche Geist den ihm eignen philosophischen Sinn und Drang, der ihn vor allen Nationen kennzeichnet, seinen Faustischen Zug, in das Bild seines obersten Gottes gelegt. Wie der Wahrheit suchende Grübler Faust nicht harmlos der frohen Gegenwart geniessen mag und sich des Augenblicks und der hellen Oberfläche der Dinge erfreuen, wie es ihn unablässig drängt, den dunkeln Grund der Erscheinungen zu erforschen, die Anfänge, die Gesetze, die Ziele und Ausgänge der Welt; – so der "grübelnde Ase". Während die andern Götter sich den Freuden Walhalls hingeben oder in Abenteuer, in Kampf und Liebe der Gegenwart leben, uneingedenk der Vergangenheit und um die Zukunft unbesorgt, kann Odin nun und nimmer rasten im Suchen nach geheimer Weisheit, im Erforschen des Werdens und des Endschicksals der Götter und aller Wesen. Die Riesen oder einzelne unter ihnen gelten als im Besitz uralter Weisheit stehend; Odin ermüdet nicht, solche weisen Meister aufzusuchen und auszuforschen [Fußnote: Als "Gangrad" geht er so zu dem Riesen Vafthrudnir, als Vegtam bringt er nach Hel, über Baldurs drohendes Beschick zu forschen; dagegen verkündet er Geirröd die Herrlichkeit Asgards und der Asen.] ; hat er doch sein eines Auge selbst als Pfand dahingegeben, um von dem kundigen Riesen Mimir Weisheitslehren zu empfangen; denn im Wasser, in "Mimirs Brunnen", liegen die Urbilder aller Dinge verborgen; er versenkt deshalb sein Auge in diesen Brunnen [Fußnote: Man deutet dies, mit zweifeligem Recht, der Naturgrundlage nach, auf die Sonne als Odins Auge (?); im Wasser abgespiegelt, ruht das andre Auge, das verpfändete, versenkte.] . Zauberinnen, weissagende Frauen, lebende und tote, forscht er aus; ja er hat die "Runen", den Inbegriff aller geheimen Weisheit, selbst erfunden [Fußnote: Vgl. über die verschiedenen Runen-Alphabete Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker, I, Berlin 1881, S. 122. Die Runen sind die lateinischen Buchstaben der Kaiserzeit, durch Vermittlung der Kelten den Germanen zugekommen. Man bediente sich derselben nicht zur Schrift in unserm Sinn, sondern zu Zauber (Zauber von zepar; opferbare Tiere, im Gegensatz zu Unziefer, Ungeziefer, welches die Götter verschmähen), Weissagung, Zukunftsforschung, Losung. Man ritzte in Stäbchen von Buchenrinde Zeichen, warf sie (etwa aus einem Helm) zur Erde und las sie einzeln auf (daher "lesen"); jede Rune bedeutet ein Wort, welches mit dem fraglichen Buchstaben begann (z. B. Th einen Riesen, weil Thurs mit Th beginnt), was mit dem "Stabreim" der germanischen Dichtung zusammenhängt. Man schnitt oder ritzte zu Zauberzwecken Runen; so drohte man, einem Weib einen Thurs (Riesen) zu ritzen, dem sie dann verfallen wäre, "einen Thurs ritze ich dir und drei Stäbe" (altnordisch; thurs rist ek ther ok thria stafi); erst durch das Aussprechen der drei Stäbe des Stabreimes tritt der Zauber in Kraft; es gab Sieg-Runen, Liebes-Runen, Bier-Runen, Speer-Runen, Pfeil-Runen, Haus- und Herd-Runen (die "Hausmarke" war sehr oft eine Rune, etwa mit leiser Änderung), Schiffs-Runen, Toten-Runen, d. h. durch welche man Tote auferwecken und zum Sprechen bringen kann; achtzehn Zauberzwecke werden aufgezählt.] . Auch mit kundigen Menschen hält er Wettgespräche der Weisheit, in welchen der Götter und aller Wesen Entstehung, Wohnung, Sprache, Schicksal und Ende erörtert wird. So hat er denn auch die Geheimkunde von der unabwendbar drohenden Götterdämmerung ergrübelt; – aber zugleich auch das trostreiche Hoffnungswort von der Erneuerung, von dem Auftauchen einer neuen, schönen, schuldlosen Welt; und er vermag dies Trostwort als letztes Geheimnis seiner Weisheit dem toten Lieblingssohne Baldur noch in das Ohr zu

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