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Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen

Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen

Titel: Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Dahn , Therese Dahn
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Helfer, ihre Schützlinge und ihre Feinde sich vor unsern Augen ausgelebt haben, können auch wir die Antwort finden auf jene Frage.
    Zweites Buch.
Besonderer Teil,
Die einzelnen Götter. Elben, Zwerge, Riesen. Andere Mittelwesen.
I. Odin-Wotan.
    Odin führt uns in die höchsten und tiefsten, die feinsten und meist durchgeistigten Elemente des germanischen Wesens. Thor-Donar ist der Gott der Bauern, Odin-Wotan, der Siegeskönig, ist der Gott der völkerleitenden Fürsten und Helden [Fußnote: Es besteht daher ein grosser Gegensatz zwischen beiden; der Schützer des Ackerbaues, der Bauern, kann keine Freude haben an den von Odin unablässig geschürten Kriegen, welche Saat und Gehöft verderben; doch geht auch der Bauer oder Knecht, der im Gefolge seines Herrn fiel, in Walhall ein. Im Harbardslied verspottet Odin als Gott des wilden, abenteuernden, fahrenden Heldenlebens ziemlich übermütig den plumpen, aber fleissigen Bauern (d. h. den als solchen verkleideten Thor).] ; zugleich aber (und das ist das Wunderbare, in dieser Vereinung so ganz für die germanische Volkseigenart Bezeichnende) ist er der Gott der Weltweisheit und der Dichtung; die grossen Könige der Völkerwanderung und die Kaiser des Mittelalters wie anderseits der ewig suchende Faust der deutschen Weltweisheit: Kant, Fichte, Hegel, Schelling, aber ebenso die grössten germanischen Dichter: Shakespeare, Goethe und der Dichterphilosoph Schiller; – alle diese Männer hätten unter dem Asenglauben Odin als ihren besondern Schutzgott betrachtet; alle diese unter sich so grundverschiedenen und doch gleichmässig für germanisches Eigenwesen so scharf bezeichnenden Gestalten, – sie sind Erscheinungen dessen, was die heidnische Vorzeit unsres Volks in ihren obersten Gott gelegt hat; ahnungsvoll hat das Germanentum in die eigne Brust gegriffen und seine höchste Herrlichkeit in Staats- und Siegeskunst, seine Heldenschaft, seine tiefste Tiefe in grübelnder Forschung, seine sehnsuchtsvollste dichterische Begeisterung verkörpert in seinem geheimnisvollen Götterkönig; es weht uns an wie Schauer aus den Urtiefen unsres Volks, gehen wir daran, Odins Runen zu deuten und die Falten zu lüften seines dunkelblauen Mantels. –
    Woher rührt jene Verbindung scheinbar unvereinbarer Elemente in einer Göttergestalt?
    Die Ursache liegt zum Teil in der Naturgrundlage, zum Teil in der Stellung Odins als obersten Königs und Leiters der Walhallgötter.
    Seine Naturgrundlage ist die Luft, – die alldurchdringende; von diesem Alldurchdringen führt er ja auch den Namen; wir Neuhochdeutschen freilich brauchen "waten", "durchwaten" nur mehr von dem Durchschreiten des Wassers, höchstens etwa noch einer dichten Wiese oder einer Sandfläche; aber althochdeutsch watan, altnordisch vadha, bedeutete jedes Durchschreiten und Durchdringen [Fußnote: Von dem Präteritum wuot, altnordisch ôdh (daher Odhinn, der durchdrungen hat), hat sich dann "Wuoth", "Wut" und "Wüten" gebildet; althochdeutsch Wotan, altniederdeutsch Wodan.] ; die Luft aber, in allen ihren Formen und Erscheinungen gedacht, welche Fülle von Gegensätzen schliesst sie ein! Von dem lautlosen und regungslosen blauen Äther, von dem gelinden, geheimnisvollen Säuseln der Frühlingsnacht, das kaum das junge Blatt der Birke zittern macht, bis zum furchtbar brausenden Sturmwind, der im Walde die stärksten Eichenstämme knickt; – alle diese Erscheinungen nun sind Erscheinungen Wotans; – er ist im gelinden Säuseln und nicht minder im tosenden Sturm. Aber durch diese seine Luftnatur wurde Wotan noch mehr; – er wurde zum Gott des Geistes überhaupt. In mehreren Sprachen ist das Wort für den leisen, unsichtbaren, doch geheimnisvoll allüberall fühlbaren Hauch der Luft eins mit dem Wort für Geist [Fußnote: Lateinisch spiritus ist Lufthauch und Geist, griechisch anemos, Wind, ist lat. animus, Mut, Geist. Und in der Tat; welch treffenderes Bild gäbe es für den unsichtbaren Lebenshauch, den wir Geist nennen, als eben den unsichtbaren Lebenshauch der Luft? Daher gibt Odin den Menschen bei deren Schöpfung önd, d. h. Lebensatem. Hönir, unerklärten Namens und Wesens, gibt ihnen Geistbewegung, Loki Blut und gute Farbe, diese beiden zugleich gefährliche Eigenschaften. Der Ursprung von "Seele" und "Geist" im Germanischen ist nicht ganz sicher; doch spricht manches dafür, dass Seele (gotisch saiwala) verwandt mit See, die bewegliche, leise flutende, wogende Kraft sei; "Geist" scheint verwandt mit altnordisch

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