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Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen

Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen

Titel: Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Dahn , Therese Dahn
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raunen.
    Es sind zunächst äussere Gründe, welche den Leiter der Walhall-Götter zu solcher Forschung führen; – das Bedürfnis, die den Göttern von den Riesen drohende Gefahr der Zukunft zu erkunden –; aber ebenso unverkennbar hat die Edda, hierauf weiterbauend, dem "grübelnden Asen" den tief germanischen Drang nach Weltweisheit eingehaucht. Unablässig forscht der Gott, der nicht allwissend [Fußnote: Ein Riese, den er im Wettkampf von Fragen und Antworten besiegt, ruft am Schluss ehrfurchtsvoll sich beugend; "Du wirst immer der Weiseste sein!"] ist, aber es sein möchte; täglich sendet er seine beiden Raben aus, die Welt und den Lauf der Zeiten zu erkunden; zurückgekehrt sitzen sie dann auf seinen beiden Schultern den flüstern ihm geheim ins Ohr; sie heissen aber – denn nicht könnten die Namen bezeichnender sein – sie heissen "Hugin" und "Mugin": "Gedanke" und "Erinnerung".
    Vom Geist untrennbar ist die Durchdringung mit Geist, die Begeisterung; und wie der philosophische, findet der dichterische Drang germanischen Volkstums, der Geist, der, vom Trank der Schönheit trunken, selbst das Schöne zeugt, in Odin seinen Ausdruck. Zwar hat die nordische Mythologie einen besondern Gott des Gesanges aufgestellt, Bragi (Odins Sohn), "der die Skalden ihre Kunst gelehrt" (s. unten); aber er ist nur eine Wiederholung, eine einzelne Seite Odins; Odin ist der Gott höchster dichterischer Begeisterung, jener Entzückung künstlerischen Schaffens, welche, -auch nach Sokrates-Platon, mit der wärmsten Liebesbegeisterung für das Schöne verwandt, auch von andern Völkern als ein Rausch, als eine Art göttlichen Wahnsinns gefasst und gefeiert wird. Tief hat es das germanische Bewusstsein erfasst, dass nur aus der Liebe höchsten Wonnen und Qualen der Trank geschöpft wird unsterblicher Dichtung.
    Der Trank oder Met der Dichtung war entstanden aus dem Blut eines Zwergen Kwâsir, "der war so weise, niemand mochte ihn um ein Ding fragen – er wusste Antwort". Den Trank hatte in Verwahrung des Riesen Suttung schöne Tochter Gunnlöd; unter falschem Namen, durch List und in Verkleidung gelangt Odin zu ihr; er gewinnt die Liebe der Jungfrau; drei Tage und drei Nächte erfreut er sich ihrer vollen Gunst und die Liebende gestattet ihm, drei Züge von dem Trank zu schlürfen; aber in diesen drei Zügen trinkt der Gott die drei Gefässe leer, nimmt Adlersgestalt an und entflieht nach Walhall, indem er für sich und seine Lieblinge, denen er davon verleihen mag, die Gabe der Dichtung unentreissbar gewonnen hat; sie heisst daher "Odins Fang", "Odins Trank", "Odins Gabe".
    Nach echt germanischer Auffassung ist die Dichtung zugleich die höchste Weisheit; sie gewährt Antwort auf alle Fragen; es ist jene tiefsinnige Wahrheit, dass der Dichter, der echte, dass ein Shakespeare, Goethe, Schiller die letzten Geheimnisse der Menschenbrust ausspricht und in schöner Ahnung die Rätsel der Natur und Geschichte löst; die goldene Frucht der Wahrheit in den silbernen Schalen der Schönheit. – Das ist die germanische Auffassung von der Aufgabe der Dichtkunst, wie sie unsre grössten Meister erkannt und gelöst haben. Denn wahre Schönheit ist schöne Wahrheit. Das Wesen dieser Dichtkunst aber ist trunkene, entzückte Begeisterung. Ein prachtvolles Bild der Edda schildert den Rausch (zunächst allerdings für den Rausch des Trinkers): "der Reiher der Vergessenheit rauscht über die Gelage hin und stiehlt die Besinnung"; "dieses Vogels Gefieder," fährt Odin fort, "befing auch mich in Gunnlöds Haus und Gehege, trunken ward ich und übertrunken, als ich Odrörir erwarb". Es wird also der Rausch dichterischer Begeisterung eingekleidet in den Rausch des Trankes des heiligen Mets; auch die Namen sprechen etymologisch die gleiche Lehre aus: Kwâsir bedeutet "die schäumende Gärung", und Odrörir ist der "Geistrührer"; – der Trank, der den Geist in Bewegung setzt. Aber nur durch die Liebe gelangt der Gott zu dem selig berauschenden Trank: "nur sie, nur Gunnlöd schenkte mir, auf goldenem Lager, einen Trank des teuren Mets"; nie wär’ ihm die Entführung des Trankes geglückt, "wenn Gunnlöd mir nicht half, die gunstgebende Maid, die den Arm um mich schlang".
    Auch das ist tief ergreifend in dieser wunderbaren Sage vom Werden der deutschen Dichtung, dass, wie die Wonne, so das Weh der Liebe als unentbehrlicher Tropfe in diesen Becher der Poesie geschüttet wird; nicht ohne höchste Liebeslust, nicht ohne tiefstes Liebesleid zu geben und

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