Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
erschreckenden Helm (Tarnkappe) Verhüllten. So heisst er Grimur und Grimnir [Fußnote: Eigentlich bedeutet es eine Art Helm-gitter, welches das Antlitz verbirgt, und durch welches hindurch er drohend, schreckend blickt.] : der Verhüllte. Verhüllt, verkleidet, in unscheinbarer Tracht wandert der Gott unermüdlich (wie der Wind) durch Midgard, Riesen- und Elbenheim, überall nach verborgener Weisheit spürend, seine geheimen Pläne, Bündnisse, Verträge verfolgend, die Wirtlichkeit der Menschen prüfend, seine Lieblinge beschützend, die Feinde der Götter ausforschend, überlistend, unerkannt mit ihnen in Wettgespräche sich einlassend, wobei Frage und Antwort wechseln und derjenige, welcher eine Antwort schuldig bleiben muss, das Haupt verwettet und verwirkt hat [Fußnote: Oder der Wanderer weiss das Gespräch so lang hinzuziehen, den eiteln und neugierigen Zwerg so lang hinzuhalten, bis die Sonne in den Saal scheint und der Dunkelelbe, der Unterirdische, durch ihren ersten Strahl zersprengt oder in Stein verwandelt wird.] ; als "ewigen Wanderer" bezeichnen ihn die Namen Gangleri, Gangradr, Wegtamr [Fußnote: Im Mittelalter wurde dann mancher Zug von dem rastlosen geheimnisvollen Wanderer auf den "ewigen Juden" übertragen; aber keineswegs ist die ganze Sage von diesem aus Wotan hervorgegangen. Die "wabernde" Luft (vgl. Waberlohe) bezeichnet sein Name "Wafudhr", ihr leises Beben "Biflindi", deren Brausen, zugleich aber auch das Tosen der Schlacht "Omi" (angelsächsisch vôma); er heisst ferner Yggr, der Schreckliche (daher Yggdrasil), dann "Bölwerkr" und "Bölwisi" als der Arglistige, der durch Täuschung seine Zwecke erreicht, Fürsten und Versippte durch Zankrunen verfeindet; andre Namen s. oben; der " Mann vom Berge".] .
Als geheimnisvoller Wanderer, in unscheinbarem Gewand, tritt der Gott in zahlreichen Sagen und Märchen auf; den grossen breiträndigen Schlapphut [Fußnote: Daher heisst er Höttr, Sidhöttr.] (Windhut, Wunsch-hut) tief in die Stirn gerückt, seine Einäugigkeit (s. oben) zu verbergen, an der man ihn erkennen möchte, in einen weitfaltigen, dunkelblauen, fleckigen (d. h. wie die Wolken gefleckten) Mantel [Fußnote: Mantel aus Tierfellen; daher heisst er "der manteltragende Gott"; Hakul- (nord. Mantel)berand, woraus der "Hackelberend" geworden, der als wilder Jäger dem wütenden Heer voraus reitet, als Mantel-Reiter wird er zu dem "heiligen Martinus".] gehüllt, mit dichtem Haupthaar (manchmal aber auch kahl), meist mit wirr wogendem, grau gesprenkeltem Bart, den Speer in der Hand, den Zauber-Ring Draupnir am Finger, ein hoher Mann von etwa fünfzig Jahren oder auch wohl als Greis, doch gewaltig an ungebrochener Kraft [Fußnote: Im Märchen ist er oft zum kleinen grauen Männchen zusammengeschrumpft, mit Zwergen verwechselt; der lange Wirrbart verrät auch den König Drosselbart oder Brösel-bart des Märchens deutlich als Wotan.] .
Aber nicht unscheinbar, sondern furchtbar-prächtig, in kriegerischer Helden-Herrlichkeit, tritt der König und Feldherr der Götter auf, wann er an der Spitze der Asen, Lichtalben und Einheriar ausreitet zum Kampfe gegen die Riesen; dann leuchten weithin sein goldener Helm mit den vorwärts gesträubten und dadurch Schreck einflössenden Schwan- oder Adlerschwingen (der "Schreckenshelm") und die reich geschmückte Brünne; auf Sleipnirs Rücken braust er heran, den Siegesspeer Gungnir schwingt er und schleudert ihn unter der Feinde Volk mit dem Zauberruf: "Odin hat euch alle".
Und stattlich auch thront er auf Hlidskialf, dem "Hochsitz", in Walhall (aber doch nicht bloss wie auf Erden der König und jeder Hofherr den Hochsitz in seiner Halle einnimmt; es ist eine Spähwarte gemeint), den nur Frigg, seine Gemahlin, mit ihm teilen darf. Hier empfängt er als Hroptr (Rufer zum Kampf) die neu eintretenden Einheriar. Vor seinem goldenen Stuhle steht ein goldener Schemel; nach (Süden oder nach) Westen schaut er; denn von (Norden oder von) Osten sind, wie die Germanen überhaupt, die Asen, von Odin geführt, hergewandert und nach Süden und Westen zielte ihr Trachten. Zu seinen Füssen kauern die beiden Wölfe (erst später Hunde), Geri und Freki, die Tiere der Walstatt, die Walvater heilig; er füttert sie mit dem Fleische des Ebers Sährimnir, – denn er selbst bedarf nicht der Speise, nur des Trankes; und zwar nicht von Äl oder Met, aber an Wein erfreut er sich [Fußnote: Offenbar erst spät entstanden, nachdem der Wein bekannt und bevorzugt wurde.] . Ein
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