Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
Adler hängt (oder schwebt) über dem Westtor von Odins Saal, wohl scharf ausspähend. Auf des Gottes Schultern aber wiegen sich die beiden Raben und raunen ihm Weisheit in das Ohr. Nachklänge in den Sagen lassen den König Oswald (Aswalt) durch zwölf Goldschmiede (die zwölf Asen) seinem Raben die Flügel mit Gold beschlagen oder zwei weisse Tauben dem Papst ins Ohr flüstern, was er tun soll, oder eine Taube Luther die Bibelübersetzung in das Ohr sagen, wobei die Taube in protestantischen Landen weiss (der heilige Geist), in katholischen aber schwarz ist (der Teufel); kaum ist dabei an den Raben Odins zu denken.
Wir sahen, aus welchen Gründen Odin wünschen muss, dass möglichst viele Männer den Bluttod im Kampfe, nicht den Strohtod, sterben (deshalb ritzten sich Kranke mit dem Speer, um so doch "Odin geweiht" [Fußnote: Übrigens wurden auch wohl Söhne schon vor oder gleich nach der Geburt von den Eltern in gleichem Sinn "Odin gegeben", geweiht; man erkaufte dadurch des Gottes Schutz für das Leben des Sohnes, unter der ihm auferlegten Verpflichtung des Bluttodes; hier tritt an Stelle der Selbstweihe die Weihe durch den Vater. – Man "weihte auch sich selbst Odin", d. h. verpflichtete sich, nach bestimmten Jahren (z. B. zehn) in der Schlacht zu fallen.] zu sterben und "nach weitherziger Auslegung" die Bedingung erfüllt zu haben; "denn alle mit dem Speer Geritzten", d. h. ursprünglich im Kampfe Gefallenen, nimmt Odin in Anspruch). Deshalb schliesst er Verträge, Bündnisse mit hervorragenden Königen oder andern Helden, in welchen diese sich verpflichten, dereinst in der Schlacht zu fallen [Fußnote: Dann ist es wohl Odin selbst, der dem bisherigen Schützling in der letzten Schlacht als hoher Greis, das Haupt mit dem breitrandigen Hut verhüllt, im blauen Mantel entgegentritt, an dessen "grauem" Speer das verliehene Siegesschwert zerbricht oder umgekehrt; der verliehene Speer am Schwert, dessen Stücke aber freilich neu geschmiedet werden mögen. Solange das Schutzverhältnis dauert, lehrt der Gott seine Lieblinge siegen; z. B. Feinde, welche Zauber gegen Eisen gefeit hat, mit Steinen zu Tode werfen. Solange mag der Schützling seinen Feinden, statt ihnen die verlangte Busse zu zahlen, siegesgewiss zurufen; "Gewärtigt wilde Wetter, graue Speere und Odins Gram!" Oder; "dem Tode verfallen (feigr, nicht unser neuzeitliches; ‘feige’) ist euer Führer, eure Fahne fällig, gram ist euch Odin". Darauf erscheint ein gewaltiger Mann im Schlapphut, schleudert seinen Speer über die feindliche Schlachtreihe, ruft; "Odin hat euch alle!" und erfüllt diese mit wild entscharendem Entsetzen. Wie Odin überhaupt Menschenopfer dargebracht wurden, weihte wohl ein Heer vor der Schlacht das feindliche Odin, vielleicht unter der symbolischen Form eines Speerwurfes oder Pfeilschusses über die Feinde hin; d. h. im Fall des Sieges wurden dann alle Gefangenen ihm geschlachtet, vielleicht auch die Pferde, und die erbeuteten Waffen zerbrochen. So hatten (im Jahre 58 nach Chr.) die Chatten (Hessen), im Kampfe mit den Hermunduren (Thüringen), um die heiligen Salzquellen (wohl von Kissingen) des Grenzgebietes die Feinde Mars und Merkur (Ziu und Wotan) geweiht; so die Kimbern vor der Schlacht von Arausio (Orange, am 6. Oktober 105 vor Chr.) die Legionen (Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker, II, Berlin 1881, S. 6, 110. – Dahn, Deutsche Geschichte, I, 1. Gotha 1884, S. 324, 407), und man fand auch einmal in der Nordsee ein Schiff, in welchem die Pferde getötet, die Waffen absichtlich zerbrochen schienen.] , während der Gott diesen seinen Lieblingen und Walsöhnen, solange sie leben (und zwar manchmal für ein übermenschlich langes Leben oder für eine bestimmte Vertragszeit, z. B. zehn Jahre) Sieg [Fußnote: Odin ist der genialste Feldherr; er hat die Germanen die keilförmige Schlachtordnung, den "Eberrüssel" (swinfylking), gelehrt, mit welcher sie denn auch richtig schliesslich die Legionen Roms zersprengt und den Erdkreis erobert haben. Seine Lieblinge lehrt Odin, ihnen den Sieg zu sichern, diese Schlachtordnung ganz besonders; so den Dänenkönig Harald Hildetand, den er auch unverwundbar gezaubert hatte (dafür hatte der König sich selbst und die Seelen aller Erschlagenen Odin geweiht), der damit den Schwedenkönig Ingo besiegte. Aber als Haralds Stunde gekommen in der Brawallaschlacht gegen König Hring, hatte Odin auch diesen die Keilstellung gelehrt, wie der erblindete Harald zu seinem
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