Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
breitknochig, breitschulterig, breitbackig, mit wirrem, fuchsrotem [Fußnote: Die rote Farbe, die des Blitzes, ist ihm heilig; daher auch Tiere von roter Farbe; der Fuchs (der Bär dagegen wegen seiner Stärke), das Eichhorn, das Rotkehlchen, die rote Vogelbeere (s. unten; die Fahrt nach Geirrödsgard). Ausserdem die Eiche, weil der Blitz gern in Eichen schlägt (oder als Wahrzeichen der Kraft?).] Bart rund um das Kinn und die Wangen, wie ihn heute noch der westfälische Landmann trägt, um ihn fliegend im Wind oder in der Wut, wenn er zornig darein bläst; derb, ja pump, langsam, ungefüg, von schwerfälliger Bewegung, aber von unwiderstehlicher, bärenstarker Kraft.
Der deutsche Bauer, sagten wir, ist ein trefflicher Bauer; aber er ist auch ein sehr starker Esser und Trinker.
Auch darin ist Gott Thor ein Vorbild – oder richtiger; ein Nachbild! – des germanischen Bauers, dessen Verzehrungsvermögen man in den Polizeiordnungen des Mittelalters bei den Schmäusen zur Taufe, Kirchweih, Hochzeit und Begräbnis von Amtswegen Schranken ziehen Musste. In einem der schönsten, weil abgerundetsten und einheitlichsten, Lieder der Edda, Hamarsheimt, des Hammers Heimholung, oder Thrymsquida, das Lied vom Riesen Thrym (oder nordisch: Thrymr), wird uns erzählt, wie Thor, dem, während er schief, der Riese Thrym [Fußnote: Vielleicht älterer riesischer Gewittergott, der aber jetzt nur noch als schädlich wirkend gilt. Acht haften tief Rasten er Thors Hammer unter der Erde verborgen; man deutet dies auf die acht (nordischen) Wintermonate, in welchen Gewitter nicht vorkommen, muss dann aber freilich Thrym nicht als Gewitter-, sondern als Winterriesen auffassen.] seinen Hammer entwendet hat und nur zurückgeben will, wenn ihm Freya als Braut zugeführt wird, sich als Freya verkleidet zu dem Riesen begibt und hier beinahe durch sein ungeheures Zulangen bei dem Hochzeitsschmaus sich verrät; die Braut verzehrt einen ganzen gebratenen Ochsen und acht Lachse, ferner sämtliches süsse Gebäck, welches für alle Mädchen und Frau bestimmt gewesen war, und trinkt dazu drei Kufen Met. Der Bräutigam verwundert sich: "Wer sah," meint er kopfschüttelnd, "wer sah je Bräute so gierig schlingen! Nie so viel Met sah ein Mädchen ich trinken." Der schlaue Loki, der, als Freyas Magd verkleidet, daneben sitzt, weiss freilich Rat, um den durch seinen eignen Durst beinahe verratenen Freund herauszulügen; acht Tage und Nächte, erklärt er entschuldigend, habe die Braut nichts genossen – vor Sehnsucht nach dem Bräutigam. Dadurch ist Zeit gewonnen, bis der ersehnte Hammer herbeigebracht wird, die Braut zu weihen! – sofort ergreift der Gott die vertraute Waffe, – das Herz lacht ihm im Leibe, wie er sie wieder schaut – und zerschmettert dem Riesen und sämtlichen Gästen von dessen Sippe die harten Häupter.
Auch das Plumpe, Ungeschlachte und Ungefüge, das dem germanischen Bauer anhaftet und seine gewaltige Kraft zuweilen ratlos erscheinen macht, die Unbeholfenheit der Glieder und der Seele, spiegelt sich in seinem Gott. Nach der Schilderung des erwähnten Liedes wäre der starke Gott, der sich im Schlafe seine geliebte Waffe hat entwenden lassen, mit all seiner furchtlosen Stärke nie dazu gelangt, seinen Hammer auch nur wieder zu sehen, hätten nicht andre für ihn kluge Listen ersonnen; darauf weigert er sich noch, sie auszuführen, er sträubt sich in seiner bedächtigen Ernsthaftigkeit, Freyas Kleider anzulegen: "mich würden die Asen weibisch schelten, legt’ ich das bräutliche Linnen mir an" – und gebärdet sich dann, auch nachdem er in den Plan gewilligt, so gröblich ungeschickt, dass er in der Ausführung jeden Augenblick alles zu verderben droht. Und ebenso spielt er in manchen andern Abenteuern, die er auf seinen Fahrten erlebt, häufig die Rolle des (ungeachtet seiner Bärenstärke; – bezeichnend ist sein Beiname "Björn", der Bär) und trotz seines nie erschrockenen Mutes durch seine List Geprellten und Gefoppten (bei den Wanderungen, welche die Götter-Trilogie Odin, Loki und Thor in Gemeinschaft unternimmt, trägt Donar oft die Prügel davon, eine Rolle, in welcher ihn nach der Annahme des Christentums bei den legendenhaften Wanderungen von Christus, Johannes und Petrus der letztgenannte Apostel ablöst), bis er etwa, spät genug, die Tücken entdeckt, die Geduld ihm reisst und nun freilich nichts der gereizten Kraft des Zornigen widersteht, der mit seinem Hammer allen Widerstand in Trümmer und Scherben
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