Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
Tann-gniostr und Tann-grisnir, Zahn-Knisterer und Zahn-Knirscher, gezogen; – die Ziege, das Haustier der Armut, folgt dem Menschen nachkletternd bis an die oberste Grenze urbaren Fruchtlandes und unwirtlicher Felsen. Da nun aber mit dem Übergang vom schweifenden Hirten- und Jäger-Leben zu Ackerbau in festen Sitzen der Anfang aller höheren Gesittung gewonnen ist, wird Donar auch zum Gott der menschlichen Kultur überhaupt; sein Steinhammer ist nicht nur Kriegswaffe im Kampfe gegen die Felsriesen, er dient auch friedlichen Zwecken; die Berührung mit dem Hammer weiht das Mädchen zur bräutlichen Frau und heiligt wie den Becher bei dem "Becherfrieden" des frohen Gelages, so die Schwelle des Hauses mit erhöhter Befriedigung; der Hammerwurf bildet auch das uralte Mass bei Landnahme und Landzuteilung, bei der Ansiedlung [Fußnote: Hierbei der individuellen Kraft Rücksicht tragend. Hierauf beruht das folgende Gedicht, Thors Hammerwurf; "Thor stand am Mitternachtsende der Welt, / Die Streitaxt schwang er, die schwere; / ‘So weit der sausende Hammer fällt, / Sind mein das Land und die Meere!’ – / Und es flog der Hammer aus seiner Hand, / Flog über die ganze Erde, / Fiel nieder am fernsten Südensrand, / Dass alles sein eigen werde. / Seitdem ist’s freudig Germanenrecht, / Mit dem Hammer Land zu erwerben; / Wir sind von des Hammergottes Geschlecht / Und wollen sein Weltreich erben." (Felix Dahn, "Harald und Theano")] . Der Hammer schlägt die ehrwürdigen Marksteine in den Boden, er festigt die Wegsäulen, er schlägt die stämmeverbindende Brücke und lässt die Grenzen "enden und wenden"; ja er, der "Weiher" (vêorr), weiht zuletzt noch den Scheiterhaufen, auf welchen fromme Hände den Toten zur letzten Ehrenfeier gebettet.
Dieser Gott des germanischen Bauers ist nun aber – und das ist Donars Bedeutung als Ausdruck des germanischen Volksgeistes – niemand anders als: der germanische Bauer selbst, wie er leibt und lebt, wie er arbeitet und rastet, wie er zecht und schmaust, wie er einen guten, derben Spass gern antut und gern verträgt, gutmütig im Gefühl der gewaltigen Kraft, plump, oft überlistet, aber auch, wenn gereizt, unbändig und ungetüm in alles zerschmetterndem Jähzorn. Diese wohlbekannten Züge aus dem breiten Gesicht des germanischen Bauers; – wir finden sie alle wieder in dem Bild, das uns die alten Sagen vom rotbärtigen Gott des Donners zeichnen.
Der germanische Bauer ist der beste Bauer der Erde; sein Fleiss, seine unermüdliche, liebevolle Hingebung an Pflug und Ackerwerk haben ihn dazu gemacht; unablässig schafft und ringt er gegen die Ungunst der Natur; er gerät in Eifer, in einen wahren Zorn der Arbeit, wo es gilt, dem Boden urbar Land abzugewinnen. Denselben Zug hat Donar; unablässig, unermüdlich ist er hinter seiner Bauarbeit her; diese aber besteht nicht darin, hinter dem Pfluge zu gehen; – erst muss Boden für den Pflug gewonnen sein; und diesen Boden zu gewinnen, ist Donar unaufhörlich unterwegs [Fußnote: Auf der Fahrt nach Osten, weil von Osten her die der Saat schädlichen kalten Winde kommen, während die Gewitter von Westen aufzusteigen pflegen (d. h. eben in Skandinavien).] im Kampf mit den Steinriesen; wo er nur ein solches Fels-Ungetüm noch unbezwungen ragen weiss, dahin fährt er sofort auf dem rollenden Wagen, ihm den harten Schädel zu spalten; er gerät in Zorn, wo er die spröden Gesellen trifft, er weichet nicht, bis sie zermürbt sind; es ist der germanische Bauer der Urzeit, der einen grimmen Kampf ums Dasein mit dem Gestein des Felsgebirges führt; die Stahlhandschuhe des Gottes, welche er führt, sich an dem glühenden [Fußnote: Deshalb heisst er; "Hlôrridi", der in Glut, in Lohe fahrende, und wegen der Raschheit des gleichsam geflügelten Gewitters "Wingthor", der "beschwingte Thor". Diese Namen kehren wieder in Mingni und Hlôra, seinen Pflegeeltern (oder Pflegekindern; denn sôstri kann beides bedeuten).] Blitzhammer nicht die Hand zu verbrennen, sind die festen, arbeitharten Fäuste des deutschen Pflügers, der zauberkräftige Stärkegürtel (Megin-Giadr) des Gottes aber, der immer wieder neue Kräfte leiht ("die Kraft verdoppelt"), wenn man ihn fester anzieht, ist der Entschluss unweichender Ausdauer, die nimmer erlahmt.
Auch äusserlich spiegelt die Erscheinung des Gottes den germanischen Bauer wider: er ist nicht fein, zierlich oder von natürlicher Anmut wie Baldur, nicht geheimnisvoll, grossartig, erhaben-schön wie Wotan;
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