Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
Schwan.
Ich zog dir zum Ziele den zischenden Pfeil,
Aufriss ich das Ross dir, das gestrauchelt am Steil.
Oft fing ich des Feindes geschwungenes Schwert,
Lang hab’ ich die Lanzen vom Leib dir gewehrt.
Und nun, da die Norne den Tod dir verhängt,
Hab’ ich dir den schnellsten, den schönsten geschenkt.
"Sieg!" riefest du selig, "Sieg, Sieg allerwärts!"
Da lenkt’ ich die Lanze dir ins herrliche Herz.
Du lächeltest leiblich – ich umfing dich im Fall –
Ich küsse die Wunde – und nun auf; – nach Walhall!
(Dahn, Gedichte. Sämtl. poetische Werke. Zweite Serie Bd. VI. S. 209.
] , wie Swawa Helgi; unsichtbar oder zuweilen sichtbar werdend in Gestalt einer herrlich gerüsteten Jungfrau oder auch eines Tieres, dessen Eigenart der Eigenart des Helden besonders entspricht.
Auch nordisch Disen, althochdeutsch Idisen heissen sie wohl, was aber übermenschliche Jungfrauen überhaupt, nicht nur Walküren bezeichnet. In dem Merseburger Zauberspruch zaubern sie: "Heften Hafte, binden Bande", durch solche sinnbildliche Handlungen Heere zu hemmen, Feinde zu fangen [Fußnote: Auch das Schlachtfeld, auf welchem Armin im Jahre 16 n. Chr. mit seinen Cheruskern und deren Verbündeten gegen Germanicus kämpfte, bei Oldendorf am Fuss des Süntel oder Dören und Bückeburg, hat Jakob Grimms poesievolle Dichtung, auf Idisia-viso, "die Wiese der Waldgöttinnen", zurückführen wollen; aber handschriftlich ist nur Idista-viso überliefert. Vgl. Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker, II, Berlin 1881, S. 89; Dahn, Deutsche Geschichte, I, 1, Gotha 1883, S. 381.] . Unter den Walküren ragen hervor Hilde und Brunhilde, welche zugleich den Übergang der Götter- in die Heldensage sehr lehrreich darstellen.
Während die Namen der andern Walküren wechseln, kehrt überall der Namen Hilde wieder: "Hild" heisst Kampf; daher heisst "Hilde wecken" soviel wie Kampf wecken. Sie ist der personifizierte Kampfgeist; als Führerin, als erste der Walküren ist sie – Freya selbst. Nach der Sage von Högni und Hilde entführte Hedni, Hiarandis Sohn, seine Geliebte, Hilde, König Högnis Tochter. Der Vater verfolgt sie zu Schiff und holt sie ein; beide samt ihren Mannen rüsten sich zum Kampfe. Hilde bietet dem Vater ein Halsband zur Sühne (es ist Freyas Halsband: Brisingamen); aber Högni weist den Antrag zurück; denn schon hat er die furchtbare Waffe aus der Scheide gezogen, das Schwert Dainsleif, das [Fußnote: Nach unlösbar darauf liegendem Zauberbann.] eines Mannes Todesblut trinken muss, so oft es aus der Scheide gezogen wird. Erst das Abenddunkel scheidet die Kämpfer der schrecklichen Hiadningaschlacht. Aber in der Nacht schreitet Hilde zum Walplatz und erweckt die Gefallenen aus ihrem Todesschlaf; und so in jeder folgenden Nacht, fort und fort, bis zur Götterdämmerung und zu dem allerletzten Kampf, der auf Erden gekämpft wird [Fußnote: Helgi und Hilde.
Du hast mir den Vater erschlagen und schlugst mir den Bruder dazu,
Und dennoch in ewigen Tagen mein Liebster, mein alles bist du.
Es liegen so müde vom Rechten die erschlagenen Helden zu Hauf
Ich aber, in mondhellen Nächten, ich wecke die Schlummernden auf.
Sie fassen verschlafen die Schilde, sie rücken die Helme zurecht,
In den Lüften ertobet das wilde, das schreckliche Geistergefecht.
Da krähet der Hahn und sie stocken; – noch im Schwunge die Lanze ruht,
Ich trockne mit meinen Locken auf Helgis Stirne das Blut.
Ins Hügelgrab sinken wir beide, ins Brautbett dunkel und still;
Und über die graue Heide hinpfeifet der Nordwind schrill.
(Dahn, Gedichte. Sämtl. poetische Werke. Zweite Serie Bd. VI. S. 213.)
] .
Es ist der Grundgedanke gar mancher Sage; ein edles, herrliches Weib, in tragischen Widerstreit gestellt zwischen ihrem Vater (oder ihren Brüdern) einerseits und einem Geliebten (oder Ehegatten) anderseits. Ist einmal Blut geflossen, darf sie nach dem Sittengesetz germanischer Blutrache nicht ruhen noch rasten, bis die Rache durch Untergang der Schuldigen vollendet ist. So erscheint sie, nachdem diese Pflicht der Blutrache durch das Christentum beseitigt worden, als eine dämonische Unholdin, als eine "Walandine", eine Teufelin, als die Verderberin ihrer Sippe oder der ihres Gatten, was sie ursprünglich keineswegs war, sondern lediglich die Verkörperung der unerbittlichen Ehrenpflicht der Blutrache. Diese ist freilich an sich tragisch, da sie mit unentrinnbarer Notwendigkeit fortrast, bis beide oder eines der darin verstrickten Geschlechter
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