Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
Meist nach Simrock.] .
Aber auch im späten Mittelalter, ja bis heute noch, wissen zahlreiche Sagen zu erzählen von helfenden Frauen, d. h. ursprünglichen Göttinnen ("Frau Holde" in dem hohlen Stein, "Frau Vrene", "Frau Venus"), häufiger aber von Helden, d. h. ursprünglichen Göttern, welche, durch bösen Zauber entrückt in Berge und Felshöhlen und hier festgebannt, erst am Ende der Tage, wann der Teufel, das Böse auf Erden, übermächtig geworden, und die Guten, die Frommen oder das deutsche Volk auf das äusserste bedrängt, an der Spitze schimmernder Scharen hervorbrechen und nach furchtbarem Kampfe, dem letzten, der auf Erden gekämpft wird, die bösen Feinde vernichten werden, worauf dann das Reich Gottes auf Erden beginnt, oder auch nachdem Christus und die himmlischen Heerscharen sich eingemischt und die Guten gerettet, die Teufel und die Bösen gerichtet haben, das ewige Leben im Himmel anhebt. Siegfried, Dietrich von Bern, Karl der Grosse, Widukind [Fußnote: Im Odenberg oder im Karlsberg bei Nürnberg oder im Untersberg bei Salzburg, der vom "untern", d. h. Mittagsschlaf halten, heisst.] , Otto der Grosse, Friedrich der Rotbart [Fußnote: Ebenfalls, statt Karls, im Untersberg, in der Pfalz zu Kaiserslautern, im Trifels zu Annweiler, im Kyffhäuser in Thüringen.] , Friedrich II, die "drei Telle" (in der Schweiz, d. h. Wotan, Donar, Frô) harren so im Zauberschlaf des Weckrufs zu dem ihr Volk errettenden Kampf.
Im Kyffhäuser sitzt der Rotbart am runden Steintische, um den – ein Ausdruck der unendlich langen Zeit – sein langer Bart [Fußnote: Weiss oder grau wie Odins oder rot; der des "Rotbart", wobei dann vielleicht auch der Donars gemeint ist.] schon zweimal herumgewachsen.
Er nickt, den Kopf in der Hand, und blinzelt schläfrig mit den Augen. Alle seine vielen tausend Ritter und Helden schlafen in ihren Waffen um ihn her; in seiner Rüstkammer liegen die Waffen gehäuft; ungeduldig stampfen im Traum die Rosse in den unterirdischen Ställen. Der Kaiser sucht die Zahl seiner Kämpfer zu mehren, indem er tapfre Männer durch den Zwerg zu sich hinablockt in den Berg und gegen Gold in seine Dienste wirbt. Von Zeit zu Zeit frägt er den dienenden Zwerg oder einen Schäfer, der sich hineingewagt hat in die Höhle, ob die Raben noch immer um den Berg fliegen? Auf die Bejahung ruft er wohl: "So muss ich noch schlafen wohl hundert Jahr!" Endlich aber – sein Bart ist nun zum dritten Mal herumgewachsen – fliegen die Raben herein, setzen sich auf seine Schulter und raunen ihm ins Ohr. Da springt er auf und stösst in das schmetternde Horn; auf fahren seine Helden aus dem Zauberschlaf, sie greifen, noch halb verschlafen, nach Helm und Schwert, sie eilen nach oben, der Kaiser hängt seinen Heerschild an den dürren Baum am Untersberg (am Birnbaum auf dem Walserfeld; dieser Baum ergrünt aufs neue – die halbverdorrte Weltesche erneuert sich –), Gericht zu halten und alle guten Deutschen unter seinem Heerschild zum Kampfe zu scharen. Das Walserfeld ist unverkennbar das Idafeld (Wal, so viel als Schlacht); hier wird die letzte blutige Schlacht geschlagen; der Antichrist führt die Ungläubigen gegen die Deutschen, die Christen; die Posaunen der Engel ertönen; der jüngste Tag bricht an.
In andern Landschaften ist es ein andrer Baum (der Holunder in Nottorf in Schleswig); oft wird dabei eine Brücke (Bifröst) erwähnt, über welche vor dem Nahen der Retter eine rote Kuh (Muspels Söhne) gelaufen oder das angreifende Heer (der Riesen) gezogen sein muss.
Die arge Bedrängnis der Guten wird wohl dadurch ausgedrückt, dass nach vielen verlustreichen Schlachten die vom Heere des weissen (d. h. guten) Königs Übriggebliebenen zusammen von einem Schild, einem Tisch, einem Stein, einer Platte speisen mögen.
Der weisse König ("de wite God" in den Niederlanden) reitet auf weissem Ross (Odin oder Freyr) gegen den schwarzen (Surtur). Manchmal sind es zwölf (die Zahl der Asen) bergentrückte Helden, welche Deutschland in höchster Not erretten. Jede Zeit fasste die drohende Gefahr und die zu lösende Aufgabe je nach ihrem Verlangen; das heilige Grab befreien, den Pfaffen steuern (d. h. die Kirche reformieren), die Türken aus Europa treiben. Das Vertrauen, dass schliesslich doch der Kaiser (d. h. Wotan) kommen und alles gut machen werde, drückt man wohl in der Fassung aus, dass ein allzu Sorgloser "auf den alten Kaiser hinein lebt".
III. Die Erneuerung.
Die alte Welt und der alte Himmel sind
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