Walisischer Sommer
es jedenfalls immer ganz allein geschafft, auch die verborgensten Winkel überall auf der Welt ausfindig zu machen.”
„Sie möchten also immer noch an dem Kurs teilnehmen, oder?”
„Ja, natürlich”, bekräftigte sie hitzig und warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. Glaubte er wirklich, sie würde sich davor drücken?
„Gut.”
„Aber er fängt erst morgen um zehn Uhr an. Wollen Sie mich also bitte entschuldigen, denn ich muß wirklich noch Arbeiten erledigen.”
Er zog die dunklen Augenbrauen hoch. „Der letzte Zug nach Wales fährt um vier Uhr heute nachmittag. Sie haben nicht mehr viel Zeit.”
Christa schaute ihn erstaunt ein. Wovon redete er? „Ich nehme doch nicht den Zug, sondern den Wagen.”
„Das geht leider nicht. Den Kursteilnehmern ist es nicht gestattet, mit dem eigenen Auto anzureisen”, stellte er fest.
„Wie bitte? Das darf doch wohl nicht wahr sein!”
„So steht es auch in unserem Prospekt, den ich Ihnen zugeschickt habe”, erwiderte er unnachgiebig.
Es stimmte, sie hatte ihn erhalten, aber sogleich weggeworfen, ohne ihn zu lesen. Sie hatte sich viel zu sehr über sich selbst geärgert, weil sie sich in diese Situation hineinmanövriert hatte, die ihrer Meinung nach reine Zeitverschwendung war.
„Deshalb habe ich gedacht, Sie würden es vielleicht begrüßen, daß ich Sie mitnehme.”
Christa betrachtete ihn mißtrauisch. Zu gern hätte sie erfahren, was er mit seinem Besuch tatsächlich bezweckte. Sie konnte sich nämlich nicht vorstellen, daß er ihr nur einen Gefallen tun wollte. Denn wenn sie nicht rechtzeitig vor Kursbeginn eintraf, würde er schadenfroh verkünden können, sie sei von der Vereinbarung zurückgetreten. Und das wäre für ihn der Beweis, daß sie befürchtete, er habe mit seinen Theorien vielleicht doch recht. Und das war ja eigentlich in seinem Sinne.
„Ich kann noch nicht weg”, sagte sie gereizt. „Ich stecke wirklich noch mitten in der Arbeit. Gepackt habe ich auch noch nicht.”
„Das macht nichts. Ich kann warten.”
Aber nicht hier, dachte sie. Er teilte ihre Meinung jedoch offenbar nicht, denn er wandte sich wieder der Collage zu und machte keine Anstalten, Christa allein zu lassen.
„Gut gemacht”, meinte er. „Sie haben ein ausgesprochen feines Gespür für Farben. Wissen Sie, daß die Wahl kräftiger Farben, besonders von Rot, auf eine starke, ehrgeizige Persönlichkeit schließen läßt?”
„Ja, Sie wissen das natürlich”, erwiderte sie spöttisch. „Das geht Hand in Hand mit …”
„Es war eins meiner Studienfächer”, erklärte er ruhig und ignorierte die geringschätzige Äußerung. Zumindest ließ er sich nichts anmerken, dazu war er auch viel zu intelligent.
Wahrscheinlich gelingt es ihm, die wahren Gefühle geschickt zu verbergen, damit ich mich in Sicherheit wiege, fuhr es Christa durch den Kopf. Nun, er würde bald einsehen müssen, daß er sich getäuscht hatte.
„Sie verschwenden Ihre Zeit. Selbst wenn ich einen oder auch sechs Monate bei Ihnen in Wales verbringe, würde es nichts an meiner Einstellung zum Leben ändern. Außerdem”, fügte sie herausfordernd hinzu, während sie ihn aufmerksam beobachtete, „vermute ich doch richtig, daß Ihre Kurse normalerweise höchstens zwei Wochen dauern, oder?”
Auf einmal schien er sich unbehaglich zu fühlen, wie Christa triumphierend bemerkte. Ihre Frage hatte ihn offenbar irritiert. Er überspielte die Verlegenheit jedoch rasch, indem er sich umdrehte, so daß Christa seine Miene nicht mehr sehen konnte. War er nur beunruhigt, oder hatte in seinem Blick auch Ärger gelegen? Wenn es mir gelungen ist, ihm eins auszuwischen, um so besser, sagte sie sich. Sie fürchtete sich nicht vor seinem Unwillen. Im Gegenteil, es war ihr sehr recht, daß er die Kontrolle über sich verlor, denn dann würde er sich viel leichter verraten.
„Normalerweise ja”, gab er zu. „Aber in Ihrem Fall …”
„Sie haben sich also entschlossen, Ihre eigenen Regeln zu Ihren Gunsten zu ändern, um Zeit zu gewinnen”, stellte sie spöttisch fest.
Nun überraschte er sie vollends, denn er stritt es nicht ab und verteidigte sich auch nicht. Statt dessen schaute er sie so seltsam an, daß ihr Puls zu rasen begann und ihr Herz zum Zerspringen klopfte.
„Das finde ich nicht gut. Im übrigen werde ich meine Meinung sowieso nicht ändern”, fügte sie rasch hinzu.
Er sah sie nachdenklich und schweigend an.
Christa hatte zwar erwartet, daß er ihre feindselige Haltung zur Kenntnis
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