Walking Disaster
lange genug gesucht hatte, um sich von ihr verabschieden zu können, machten wir uns auf den Weg zum Intrepid. Bevor er den Motor startete, sah mein Bruder mich an.
»Glaubst du, dass sie dich je zurücknehmen wird?«
»Nein.«
»Dann ist es vielleicht mal an der Zeit, das zu akzeptieren. Außer du willst sie überhaupt nicht mehr in deinem Leben haben.«
»Das versuche ich ja.«
»Ich meine, wenn es mit dem Unterricht wieder losgeht. Benimm dich wie zu der Zeit, bevor du sie nackt gesehen hast.«
»Ach, halt die Klappe, Trent.«
Trenton drehte den Zündschlüssel und legte den Rückwärtsgang ein. »Ich hab mir ja nur überlegt«, sagte er und schaltete, »dass du doch auch glücklich warst, als ihr nur gut befreundet wart. Vielleicht kannst du dahin zurück. Und vielleicht geht’s dir nur deshalb so schlecht, weil du glaubst, du kannst das nicht.«
»Vielleicht.« Ich starrte aus dem Fenster.
Endlich war der erste Tag des Frühlingssemesters gekommen. Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, sondern mich nur herumgewälzt und mich einerseits gefürchtet und andererseits danach gesehnt, Abby wiederzusehen. Trotz der schlaflosen Nacht hatte ich mir vorgenommen, ein fröhliches Gesicht zu machen und weder Abby noch irgendjemand anderem zu zeigen, wie sehr ich gelitten hatte.
Beim Mittagessen hatte ich das Gefühl, mein Herz würde zerspringen, als ich sie sah. Sie wirkte verändert und vertraut zugleich. Der Unterschied war, dass sie tatsächlich eine Fremde war. Ich konnte nicht wie früher einfach zu ihr hingehen und sie küssen oder berühren. Ihre großen Augen blinzelten einmal, als sie mich erblickte. Ich lächelte und zwinkerte zurück, bevor ich mich ans Ende unseres üblichen Tisches setzte. Die Footballspieler lamentierten über ihre Niederlage gegen die State. Ich lenkte sie ein bisschen von ihrem Kummer ab, indem ich einige lustige Erlebnisse aus meinen Ferien zum Besten gab: wie Trenton bei Camis Anblick das Wasser im Mund zusammenlief oder wie sein Intrepid den Geist aufgab und wir fast wegen Luftverschmutzung festgenommen wurden, bevor wir zu Fuß nach Hause latschten.
Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie Finch Abby an sich drückte, und kurz fragte ich mich, ob sie sich wohl wünschte, ich würde verschwinden, oder ob es sie traurig machen würde.
Wie auch immer – es machte mich fertig, es nicht zu wissen.
Nachdem ich den letzten Happen von irgendwas ekligem Frittiertem eingeworfen und mein Tablett weggeräumt hatte, trat ich im Vorbeigehen hinter Abby und legte meine Hände auf ihre Schultern.
»Wie sind deine Veranstaltungen so, Shep?«, fragte ich und zwang mich zu einem durch und durch lässigen Ton.
Shepley schnitt eine Grimasse. »Der erste Tag läuft doch immer grausig. Stundenlang nur Gelaber über Lehrpläne und Regeln. Ich weiß gar nicht, warum ich mir die erste Woche überhaupt antue. Und bei dir?«
»Ach … das gehört eben dazu. Und bei dir, Täubchen?« Ich bemühte mich, die Anspannung in meinen Schultern nicht auf meine Hände zu übertragen.
»Genauso.« Sagte sie mit leiser, distanzierter Stimme.
»Hattest du schöne Ferien?«, fragte ich und schaukelte sie spaßeshalber von einer Seite zur anderen.
»Ja, ganz schön.«
Klar. Oh Mann, war das peinlich.
»Fein. Ich muss zum Unterricht. Bis später, Leute.« Rasch verließ ich die Cafeteria und griff, noch bevor ich die Metalltüren passiert hatte, nach der Zigarettenschachtel in meiner Tasche.
Die nächsten beiden Unterrichtseinheiten waren die reinste Qual. Der einzige Ort, an dem ich mich wie in einem sicheren Hafen fühlte, war mein Zimmer. Weit weg vom Campus, von allem, dass mich daran erinnerte, wie allein ich war. Weg vom Rest der Welt, die sich einfach weiterdrehte und einen Dreck darum scherte, dass ich doch so offensichtlich litt. Shepley erzählte mir immer wieder, es würde mit der Zeit besser werden, aber ich merkte nichts davon.
Ich traf meinen Cousin auf dem Parkplatz vor Morgan Hall und bemühte mich, nicht auf den Eingang zum Wohnheim zu starren. Shepley wirkte angespannt und sagte auf der Fahrt zu unserer Wohnung nicht viel.
Nachdem er den Charger geparkt hatte, seufzte er. Ich erwog, ihn zu fragen, ob es zwischen America und ihm Probleme gab, doch dann kam ich zu dem Schluss, im Moment nicht meinen und seinen Scheiß aushalten zu können.
Ich schnappte mir also meinen Rucksack und stieg aus. Oben nahm ich mir nur die Zeit, die Wohnungstür aufzusperren.
»Hey«, rief Shepley mir
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