Walküre
nicht meine Brieftasche gab.«
»Sie glaubten ihr?«
»Wenn Sie ihre Augen gesehen hätten ... Ich wusste, wenn ich ihr nicht gehorchte – und vielleicht sogar, wenn ich keinen Widerstand leistete –, würde sie mit dem Messer auf mich losgehen.«
»Was für ein Messer war es?«
»Ich weiß nicht. Ein verflucht großes. Vielleicht ein Filetiermesser oder so was. Wie ein Schlachtermesser, aber dünner.«
»Und Sie haben Ihre Brieftasche rausgerückt?«
»Ja. Ich warf sie ihr zu, und als sie die Brieftasche fing, habe ich sie so kräftig wie möglich zur Seite gestoßen und bin abgehauen.«
»Und das geschah gestern Abend?«
»Ja. Ich wusste, wovon sie redete, denn ich hatte in den Nachrichten gesehen, dass der Engel zurück sein sollte.«
»Und trotzdem sind Sie zum Kiez gefahren und mit einer Prostituierten in einen leeren Innenhof gegangen?«
»Leider ja. Und es hat mich meine Brieftasche gekostet.«
»Warum haben Sie bis heute Morgen gewartet, bevor Sie den Raub auf der Davidwache angezeigt haben?«
»Ich wollte die Sache auf sich beruhen lassen ... meine Kreditkartengesellschaften benachrichtigen, meine Karten sperren lassen und alles vergessen. Aber dann dachte ich daran, dass sie behauptet hatte, der Engel zu sein. Deshalb wollte ich Ihnen Bescheid geben.«
»Sehr gemeinsinnig von Ihnen.«
»Hören Sie, ich brauche nicht ...«
»Wie sah diese Prostituierte aus?«
»Sie war älter als die meisten anderen Mädchen. In den Dreißigern. Vielleicht noch älter. Sie hatte blonde Haare, wahrscheinlich gefärbt. Ziemlich groß, ungefähr einen Meter fünfundsiebzig. Schlank. Sie war attraktiv, aber sie sah ... abgebrüht aus, könnte man sagen. Sie trug einen dunklen Mantel und schwarze Lederstiefel.«
»Schön. Ich möchte, dass Sie mit einem unserer Polizeizeichner sprechen. Wir brauchen ein gutes Bild von ihr. Dann würde ich Sie bitten, ein paar Verbrecherfotos für uns durchzusehen. Für den Fall, dass Sie eine Frau erkennen, die wir bereits in den Akten haben.«
»Ich muss zurück zu meiner Arbeit...«
»In Ordnung«, stimmte Fabel zu. »Ich schicke heute Abend jemanden bei Ihnen vorbei, der die Fotos mit Ihnen durchgehen kann. Ihre Frau weiß doch von der Sache?«
»Also gut. ... Ich mache es hier.«
Fabel stand auf, um das Zimmer zu verlassen.
»Noch etwas«, fuhr Mann fort.
»Was?«
»Ihre Augen. Wenn Sie die gesehen hätten! Sie waren so voller Hass und Wut. Deshalb bin ich weggelaufen. Ich wusste, dass sie mich sonst bestimmt umgebracht hätte. Sie war der Engel. Davon bin ich überzeugt.«
Carsten Kaminski war noch in der Mordkommission, als Fabel zurückkehrte. Der Oberrat saß halb auf dem Rand von Anna Wolffs Schreibtisch und plauderte lächelnd mit ihr. Er war klein und dunkel und hatte etwas Entspanntes, Selbstbewusstes an sich. Ein Charmeur. Fabel hatte gehört, dass er früher ein beeindruckender Frauenheld gewesen war. Nach Annas Miene zu schließen, war er es vielleicht immer noch.
»Komm mit«, sagte Fabel und führte Kaminski in sein Büro.
»Ein hübsches Mädchen.« Kaminski grinste träge. »Wie ich höre, will sie sich versetzen lassen. Ich würde ihr gern entgegenkommen.«
Fabel betrachtete Kaminski ungläubig. »Mein Gott, es dauert nicht lange, bis sich die Dinge bei uns herumsprechen, oder?«
»Was hältst du von Manns Geschichte?«, fragte Kaminski. »Ein schönes Büro übrigens.« Er reckte den Hals. »Ist das Winterhuder Planetarium von hier aus zu sehen?«
»Mann ist ein Widerling«, sagte Fabel. »Aber ich bin sicher, dass er glaubt, knapp am Tod vorbeigeschrammt zu sein. Und dass es der Engel war, der ihn ausgeraubt hat.«
»Aber du teilst seine Meinung nicht. Ich auch nicht«, stellte Kaminski fest. »Die Art, wie sie sich ihm näherte, deutet jedoch daraufhin, dass sie nicht ins Blickfeld der anderen Mädchen geraten wollte. Auch ihre Kleidung lässt mich vermuten, dass sie keine reguläre Sexarbeiterin war. Und sie hat ihn in einen isolierten Hof gelockt ... Wahrscheinlich ist sie nicht der Engel, aber sie scheint der Mörderin von neulich zu ähneln.«
»Genau. Mit etwas Glück wird Mann uns eine gute Beschreibung für den Zeichner liefern oder sie auf den Fotos erkennen. Andererseits glaube ich auch nicht, dass sie normalerweise auf dem Kiez arbeitet. Haben deine Leute noch etwas herausgefunden?«
»Wir haben mit allen Schaufenstermädchen gesprochen, die an dem Abend in der Herbertstraße saßen. Zwei von ihnen erinnern sich an
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