Walküre
einen Mann, den sie für Jake Westland hielten. Er kam von der Gerhardstraße herein und ging schnurstracks, ohne nach rechts oder links zu gucken, bei der Davidstraße hinaus.«
»Das klingt geplant«, sagte Fabel.
»Ich weiß nicht, Jan.« Kaminski hantierte mit dem Kalender auf Fabels Schreibtisch. »Ein schlichterer Grund wäre der, dass er Martina Schilmann und ihrem Angestellten entwischen wollte. Ganz spontan. Wenn Manns Nutte die Mörderin ist, dann hatte sie sich bestimmt nicht mit Westland verabredet.«
»Nein ... aber vielleicht hatte er sich mit einer anderen Frau verabredet und traf vorher auf die Mörderin. Das Ganze wirkt einfach zu ... zielgerichtet, finde ich. Wie er durch die Herbertstraße zum anderen Ende geeilt ist, weil er wusste, dass er nur Minuten hatte, bevor Martina an der Davidstraße nach ihm Ausschau halten würde. Unabhängig von Westlands Absichten meine ich jedoch, dass wir es mit einer Engel-Nachahmerin zu tun haben. Vermutlich hatte Jürgen Mann großes Glück, nicht ihr zweites Opfer zu werden. Mach dich darauf gefasst, Carsten, dass wir erst am Anfang einer neuen Mordserie stehen.«
8.
Er blickte auf seine Uhr: 16.50 Uhr. Nichts ärgerte Fabel mehr als Verspätungen. Dabei gab er selbst zu, dass er ein übertriebener Pünktlichkeitsfanatiker war. Schon in seiner Kindheit hatte der Gedanke, sich zu verspäten, Magenkrämpfe bei Fabel ausgelöst. Es war eines jener Dinge – wie seine Unfähigkeit, sich zu betrinken, sich den einen unbekümmerten Schluck zu viel zu gestatten –, die ihn kennzeichneten. Die Jan Fabel zu dem machten, was er war.
Aber diesmal hielt Fabel, während er wütend an seinem Schreibtisch saß, seine Stimmung für gerechtfertigt. Schließlich hatte er Jespersen deutlich genug gesagt, dass er wegen eines Mordfalls unter Zeitnot stand. Eine Verspätung von zwanzig Minuten war nicht nur unhöflich, sondern auch unprofessionell. Fabel griff nach dem Telefonhörer und wählte Jespersens Handynummer. Nach mehrfachem Klingeln schaltete sich die Voicebox ein. Fabel hinterließ für Jespersen die Nachricht, sich so schnell wie möglich zu melden. Das Schreibtischtelefon klingelte fast sofort, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, und er nahm an, dass es Jespersen war. Ein Irrtum.
»Hallo, Chef«, sagte Anna Wolff. »Ich habe hier etwas, das du unbedingt sehen musst.«
»Wo bist du?«
»Im Butenfeld.« Damit waren die Leichenkühlräume im Institut für Rechtsmedizin in der gleichnamigen Straße in Eppendorf gemeint. »Du wirst es dir bestimmt ansehen wollen.«
Fabel warf einen weiteren Blick auf seine Uhr und dachte wieder an die irritierende Unpünktlichkeit des Dänen. »In Ordnung, ich bin gleich da.«
9.
»Seit wann steht die Wohnung leer?« Ute Cranz drehte sich um und lächelte die Jüngere an. Sie besichtigten das Apartment seit einer halben Stunde, und die junge Grundstücksmaklerin gab sich alle Mühe, eine Reife und Erfahrung auszustrahlen, die sie offensichtlich nicht besaß. Sie trug einen maskulinen dunkelblauen Hosenanzug. Warum, dachte Ute, glauben so viele Frauen im Geschäftsleben, dass sie sich, um mit Männern zu konkurrieren, genauso wie Männer anziehen müssen?
»Sie ist gerade erst zur Vermietung freigegeben worden. Wir haben noch nicht einmal inseriert und waren überrascht, als Sie sich danach erkundigten. Woher wussten Sie, dass die Wohnung leer steht?«
»Ich habe mich in dieser Gegend umgesehen und gehört, dass der vorherige Mieter ausziehen wollte.«
»Ach so«, sagte die Maklerin, doch sie klang nicht ganz überzeugt. »Es war richtig, rasch zu reagieren. Immobilien von dieser Qualität bleiben in Altona nicht lange auf dem Markt.
Wir haben gerade ein Mietshaus um die Ecke, in der Schillerstraße, von Grund auf renoviert, und die Wohnungen waren schon vergeben, bevor wir die Arbeit beendet hatten.«
»Wie teuer?« Ute Cranz schritt durch das Wohnzimmer zum Fenster. Ihre hohen Absätze klickten auf dem Parkettfußboden.
»Nun, es sind fast zweihundert Quadratmeter. Und vom Balkon hat man einen Ausblick bis hinüber zur Palmaille. Die Monatsmiete beträgt 2900 Euro. Zuzüglich Nebenkosten. Ein für diese Gegend angemessener Preis.«
Ute schaute aus dem Fenster zur Straße hinunter. Ein Mann näherte sich der Haustür des Gebäudes. Er hatte grauweißes Haar, war breitschultrig und bewegte sich, als wäre er jünger. Seine Kleidung – eine schwere Tweedjacke und eine Cordhose -entsprach dem, was sie als
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