Walküre
ich mich an die zuständigen Stellen wenden. Nein, Herr Fabel, ich trete Ihnen nicht auf die Zehen. Bis morgen um 16.30 Uhr.« Er ließ sein Handy zuschnappen. Verdammte Deutsche – gab es einen unter ihnen, der nicht als Bürokrat geboren war?
»Sind Sie Engländer?«, fragte die Frau neben ihm, nachdem er sein Telefon in die Tasche gesteckt hatte.
»Nein.« Er lächelte müde und ließ keinen Zweifel an seinem Unwillen, Smalltalk zu machen. »Ich bin Däne.«
»Nein! Ich bin selbst halbe Dänin«, sagte sie enthusiastisch in seiner Muttersprache. Ihr Dänisch, obwohl fließend, war mit einem schweren deutschen Akzent unterlegt. »Meine Mutter stammt aus Fäborg – Sie wissen schon, auf Fünen –, aber ich bin hier aufgewachsen. Mein Vater ist aus Hamburg.«
»Nicht möglich«, kommentierte Jespersen. Sie war offensichtlich erfreut über den Zufall, neben einem Dänen zu sitzen, während Jespersen verzweifelte. Er brauchte Zeit zum Nachdenken. Andererseits war sie eine attraktive Frau.
»Machen Sie hier Urlaub?«, fragte sie.
»Nein. Ich bin geschäftlich hier.« Jespersen betrachtete die junge Frau genauer. Sie hatte tatsächlich den Teint einer Dänin. Irgendetwas an ihr erinnerte ihn an Karin. Ihr fast weißblondes Haar war zurückgebunden, doch ein Schwall von Strähnen und Locken widersetzte sich jedem Bändigungsversuch. Jespersen lächelte erneut, diesmal weniger müde.
Sie war wirklich sehr attraktiv.
7.
Carsten Kaminski rief Fabel am frühen Morgen im Präsidium an. »Wir haben jemanden, mit dem du reden solltest«, erklärte er. »Wahrscheinlich kommt nichts dabei heraus, aber ich glaube, es wäre sinnvoll, ihn anzuhören.«
»Ist er in Haft?«
»Nein. Ein Zeuge. Mehr oder weniger.«
»Ich komme rüber«, sagte Fabel.
»Nein, nicht nötig ... Ich schicke ihn zum Präsidium. Er wird in zwanzig Minuten dort sein.«
Selbst nach all den Jahren und nach allem, was er gesehen hatte, fiel es Fabel schwer zu verstehen, weshalb manche Menschen sich auf die seltsamsten Dinge einließen. Trotz seiner Erfahrung wurde er hin und wieder durch das Äußere von Personen getäuscht. Jürgen Mann, der nun im Vernehmungszimmer Fabel gegenübersaß, sah nicht aus wie jemand, der Insiderinformationen über Prostituierte haben könnte. Er war fünfunddreißig Jahre alt, groß und schlank sowie modisch und geschmackvoll mit einem grauen Jackett, einer grauen Hose und einem schwarzen Pullover bekleidet. Er hatte breite, kräftige Kiefer, die mit einem Dreitagebart von der Art bewachsen waren, der eine Menge Pflege erfordert, um so lässig zu wirken. Wie bei dem grauhaarigen Mann, den Fabel in die Herbertstraße hatte schleichen sehen, deprimierte es ihn auch hier, dass jemand, der einen so normalen Eindruck machte, regelmäßig Straßenprostituierte aufsuchte.
Wegen des heiklen Themas führte Fabel das Verhör allein.
»Was ist Ihr Beruf?«, fragte er.
»Ich bin Designer. Verpackung, Beschriftung und dergleichen.«
Das erklärt den Dreitagebart, dachte Fabel. »Sind Sie verheiratet?«
»Ja. Aber ich verstehe nicht ...«
»Kinder?«, unterbrach Fabel.
»Eines. Ein achtjähriges Mädchen.«
»Und Sie besuchen die Reeperbahn regelmäßig?«
»Ab und zu. Wollen Sie nun hören, was ich zu sagen habe, oder nicht?«, fragte Mann ungehalten.
»Ich muss wissen, auf welche Weise Sie Ihre Informationen erhalten haben. Ich muss mehr über Sie wissen. Wie oft ist ›ab und zu‹?«
»Vielleicht einmal alle zwei Wochen. Manchmal öfter, manchmal weniger oft.«
»Und Sie gehen immer zu Straßenprostituierten?«
»Ja.«
Fabel musterte den jungen Mann. Er dachte an dessen Frau und achtjährige Tochter. »Und diese Prostituierte, von der Sie Herrn Kaminski erzählt haben – gehen Sie häufig zu ihr?«
»Nein. Es war nur dieses eine Mal. Und ich kam nicht dazu ... Also, es gab keinen Kontakt.«
»Haben Sie sie schon früher gesehen?«
»Nein, noch nie. Und sie hat mich angesprochen. Ist irgendwie aus dem Schatten aufgetaucht und hat mich gefragt, ob ich mit ihr gehen wolle. Ihr Preis war niedriger als üblich, deshalb habe ich zugestimmt.«
»Was geschah dann?«
»Wie ich schon auf der Davidwache ausgesagt habe: Sie führte mich in einen Innenhof. Anscheinend plante sie, es dort zu tun, aber ich bestand darauf, auf ihr Zimmer zu gehen. In diesem Moment zog sie das Messer hervor. Sie hatte mir den Weg abgeschnitten und drohte mir, mich genauso abzustechen wie vorher den englischen Sänger, wenn ich ihr
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