Walküre
»englischen Stil« bezeichnet hätte.
»Ist das einer der Nachbarn?«, fragte sie die Maklerin, die nun ebenfalls hinunterblickte.
»Ja ... ja, ganz richtig. Das ist Herr Gerdes. Er hat das Apartment über diesem. Ein sehr ruhiger Nachbar, genau wie die übrigen Personen im Haus. Mieter der erfreulicheren Art sozusagen.«
»Ich nehme die Wohnung.« Ute lächelte. »Aber ich würde mir die Küche gern noch einmal ansehen.«
10.
»Worum geht es denn?«, fragte Fabel. Anna hatte im Vorraum des Leichenkellers in Eppendorf auf ihn gewartet.
»Dem Anschein nach um einen Mann mittleren Alters und um einen Herzinfarkt«, erwiderte Anna und ging ihm voran in die Leichenhalle.
Fabel blieb stehen. »Ein Herzinfarkt? Und was hat das mit uns zu tun?«
»Nicht was«, korrigierte Anna, »sondern wer ... Der Mann wurde heute Morgen in seinem Hotelzimmer tot aufgefunden. Auf den ersten Blick scheint die Todesursache unverdächtig zu sein. Alle Zeichen deuten auf einen Herzinfarkt hin, aber natürlich wird er noch genau untersucht. Der Mann ist Jens Jespersen, ein dänischer Staatsbürger.«
»Scheiße«, fluchte Fabel. »Der dänische Polizist, mit dem ich mich heute treffen sollte.« Er schaute auf seine Uhr. »Vor einer halben Stunde.«
»Dann lass ihn nicht noch länger warten«, sagte Anna mit einem Grinsen.
Ein Angestellter schob eine Rollbahre in die Mitte des Leichenkellers und zog das Laken fort. Der Mann auf der Bahre war groß und hatte kurzes blondes Haar, das sich scheußlich gelb von der grauen Todesblässe seiner Haut abhob. Seine Lippen hatten sich bläulich verfärbt. Aus dem dänischen Pass, den Anna ihm reichte, erfuhr Fabel, dass er vierundfünfzig Jahre alt war. Aber er hatte den Körperbau eines viel jüngeren Mannes, woraus Fabel schloss, dass Jespersen einiges für seine Fitness unternommen hatte.
»Er sieht nicht aus wie der übliche Infarktkandidat«, kommentierte Anna, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Fabel griff nach einem Plastikbeutel, der Jespersens kleinere persönliche Habseligkeiten enthielt. Die Armbanduhr war ein strapazierfähiges Fabrikat, wie man es beim Militär trug. Jespersens dänischer Polizeiausweis identifizierte ihn als »Chefpolitinspektor«, was, wie Fabel vermutete, ungefähr seinem eigenen Rang entsprach. In ein Notizbuch waren unter anderem die Nummer des Polizeipräsidiums Hamburg eingetragen, doch Fabel hatte den Eindruck, dass es sich um ein persönliches Heft handelte, das nicht für Polizeiarbeit benutzt wurde. Auf einer Seite stand der Name OLAF mit großen, doppelt unterstrichenen Blockbuchstaben. Er ließ das Büchlein wieder in die Spurensicherungstüte gleiten.
»Ist das alles?« Er hielt den Beutel hoch.
»Das ist alles«, bestätigte Anna. »Oh, abgesehen davon, dass er nicht gern allein schlief.« Sie zog eine Augenbraue hoch und warf Fabel eine zweite Spurensicherungstüte zu. Diese enthielt einen Souvenirteddybären in Matrosenkleidung und mit einer Prinz-Heinrich-Schirmmütze auf dem Kopf.
Fabel betrachtete den Stoffbären geistesabwesend. »Findest du nicht auch, dass etwas fehlt?«
»Ein ›Moin! Moin!‹ auf seinem kleinen Pullover?« Anna verzog das Gesicht. »Ich weiß, was du meinst. Etwas fehlt. Jespersen wollte hier Gespräche führen, aber wir haben keine Spur von seinem amtlichen Notizbuch, nichts Schriftliches und keine Papiere außer seinen Reiseunterlagen. Und guck dir das an ...«
Sie warf Jespersens Handy in Fabels Richtung. Er musste rasch zugreifen, um es zu fangen, und bedachte Anna mit einem finsteren Blick. Dann klappte er das Telefon auf und durchsuchte den Datenspeicher.
»Nichts …«
»Keine aus- und eingehenden Anrufe«, sagte Anna. »Keine gespeicherten Nummern. Kein Serviceverzeichnis. Ich vermute, man hat seine SIM-Karte ausgetauscht und gehofft, dass niemand sein Handy untersuchen würde.«
»Verdammt. Hat sich die Spurensicherung hiermit beschäftigt?«
»Nein. Der Notarzt, der zum Hotel gekommen war, hat einen Herzinfarkt diagnostiziert. Aber wie immer nach einem plötzlichen Tod ist die Leiche hierhergeschickt worden. Möller und sein Team werden sie untersuchen. Ich habe Möller vorgeschlagen, sie genau unter die Lupe zu nehmen.«
»Was hat er geantwortet?«
»Du kennst ihn ja. Als Gerichtsmediziner spitze und menschlich ein Arschloch von Weltformat. Er hat mir geraten, mich nicht in seine Arbeit einzumischen, doch du weißt, dass er das volle Programm durchziehen wird. Außerdem habe ich das
Weitere Kostenlose Bücher