Walküre
anderes als ein Polizist hätte sein können und es irgendwie schaffte, seine elegant geschnittenen Hugo-Boss-Anzüge wie Uniformen zu tragen. Hugo Steinbach dagegen sprach leise und hatte eine leutselige, lockere Art. Seiner Erscheinung nach hätte man den Hamburger Polizeipräsidenten für einen Lehrer oder einen Hausarzt vom Lande halten können. Tatsächlich hatte Steinbach eine für einen Beamten seines Ranges höchst ungewöhnliche Karriere hinter sich. Er war nicht gleich in den gehobenen Dienst eingetreten, sondern hatte als Streifenpolizist begonnen und sich auf der Karriereleiter emporgearbeitet. Fabel wusste, dass die Leitung der Berliner Mordkommission eine der Stationen auf Steinbachs Weg gebildet hatte. Er respektierte seinen Vorgesetzten als Beamten und brachte ihm persönliche Sympathie entgegen.
»Ich weiß, Sie wollten mit Kriminaldirektor van Heiden über die Themen sprechen, die Frau Vestergaard gestern angeschnitten hat, aber ich dachte, wir sollten uns gemeinsam darüber unterhalten. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Jan.«
»Guten Tag, Frau Vestergaard«, sagte Fabel auf Englisch.
»Ich hatte angenommen, dass wir die Sache später erörtern würden, weil ich zuerst Herrn van Heiden unterrichten wollte, wie Herr Steinbach erwähnt hat.«
»Leider haben sich die Dinge inzwischen weiterentwickelt«, erwiderte Karin Vestergaard ohne das geringste Bedauern in der Stimme. »Neue Informationen sind zutage getreten, und ich hielt es für angemessen, Herrn Steinbach einzubeziehen.«
»Warum nehmen wir nicht alle Platz?«, unternahm Steinbach den offensichtlichen Versuch, die Spannung zwischen Fabel und Vestergaard zu mindern. »Und vielleicht sollten Sie Herrn van Heiden zunächst auf den aktuellen Stand bringen.«
Nachdem sie sich hingesetzt hatten, umriss Fabel die Theorie der dänischen Polizistin über die in Hamburg ansässige Auftragsmörderin und über Jespersens unnatürlichen Tod. Karin Vestergaard hörte sich Fabels auf Deutsch vorgetragene Erklärungen schweigend an; ihre Miene war so unergründlich wie am Vortag.
»Wie sicher können wir sein, dass die sogenannte Walküre in Hamburg wohnt?«, fragte Steinbach, als Fabel geendet hatte.
»Bei allem Respekt gegenüber Frau Vestergaard und ihrem verstorbenen Kollegen – es gibt absolut keinen Beweis dafür, dass die Walküre überhaupt existiert.« Fabel musterte die Dänin erneut. Nichts deutete daraufhin, dass sie seine Worte verstand. Andererseits würde sie es sich nicht anmerken lassen, wenn sie des Deutschen mächtig war. »Offen gesagt, Herr Präsident, ich bin der Meinung, dass unsere ausländische Kollegin nicht so mitteilsam ist, wie sie es sein könnte.«
»Sie glauben, dass mehr an der Sache dran ist?«, hakte Steinbach nach.
»Ich weiß es nicht. Es könnte sogar sein, dass noch weniger hinter der Geschichte steckt. Und wenn ich ehrlich sein soll, nach der angeblichen Auferstehung des Engels von St. Pauli kann ich auf fruchtlose Aktionen gut verzichten. Aber heute Nachmittag erhalten wir den Autopsiebericht über Jespersen.«
»Ich verstehe«, sagte Steinbach. »Was meinen Sie, Horst?«
»Ich glaube, wir dürfen die Möglichkeit nicht ignorieren. Manche in der internationalen Sicherheitsgemeinschaft sind der Ansicht, dass wir gepatzt haben, weil die sogenannte Hamburger Zelle nicht ausgeschaltet wurde, bevor sie ihren Angriff auf das World Trade Center ausführte. Es könnte peinlich werden, wenn etwas passiert und sich dann herausstellt, dass wir vor dieser von Hamburg aus operierenden Attentäterin gewarnt worden sind. Wenn es zum Beispiel zu einem politischen Mord im Ausland kommt.« Van Heiden wandte sich an Fabel. »Tut mir leid, Jan ... Ich sehe ein, dass Sie durch den Engel-Fall unter Druck sind, aber wir müssen das Problem ernst nehmen.«
»Das ist auch meine Meinung, besonders wenn die Autopsie zu wichtigen neuen Ergebnissen führt.«
Karin Vestergaard räusperte sich.
»I am sorry«, sagte Fabel. Dann bat er die anderen: »Vielleicht sollten wir um Frau Vestergaards willen von nun an Englisch sprechen.«
»Natural«, erwiderte van Heiden mit einem schweren Akzent. »We will of course, you bet.«
Der Blick, den die Besucherin Fabel zuwarf, enthielt eine beredte Erinnerung an ihre Unterhaltung über die Unterschiede zwischen den Englischkenntnissen von Dänen und Deutschen.
»Ich glaube, Frau Vestergaard hat Ihnen etwas mitzuteilen«, erklärte Polizeipräsident Steinbach. »Bitte, Frau
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