Walküre
Vestergaard.«
»Man hat aus meinem Kopenhagener Büro Kontakt mit mir aufgenommen«, begann sie. »Die Nationale Kriminalpolizei Norwegens hat einen Vorfall in Drobak, unweit von Oslo, gemeldet. Dieser Vorfall, bei dem zwei Männer ermordet wurden, hat sich gestern Abend abgespielt.« Sie machte eine Pause und zog ihr Notizbuch aus der Handtasche. »Jorgen Halvorsen ist ... war ... ein Enthüllungsjournalist, der für Zeitungen und Zeitschriften in ganz Skandinavien arbeitete«, fuhr sie nach einem Blick in ihre Aufzeichnungen fort. »Er war von Geburt Norweger, arbeitete jedoch viele Jahre lang in Kopenhagen. Vor ungefähr fünf Jahren zog er zurück nach Norwegen. Um seiner Gesundheit willen, könnte man sagen. Er hatte sich in Dänemark und Schweden einige einflussreiche Feinde gemacht. Wissen Sie, Halvorsen hatte zwei Spezialgebiete, die sich teilweise überschnitten: die extreme Rechte in Europa sowie unternehmerische und politische Korruption.
Gestern Abend wurde er in seinem Haus in Drabak ermordet. Seine Angehörigen waren über Nacht verreist, was vermuten lässt, dass das Haus beobachtet wurde. Außerdem plante Halvorsen eine Auslandsreise. In den Fernen Osten. Wohin genau im Fernen Osten und zu welchem Zweck, wissen wir nicht. Aber die Umstände lassen vermuten, dass der Mörder Halvorsens Terminkalender kannte. Alles deutet auf eine zeitlich genau kalkulierte Tötung hin ... abgesehen davon, dass Halvorsens Gärtner im falschen Moment aufgetaucht ist. Er war das andere Opfer. Ein einzelner Messerstich ins Herz.«
»Und Sie sind der Meinung, dass die angebliche Hamburger Walküre dafür verantwortlich ist?«, fragte Fabel.
»Das ist möglich. Es war eine äußerst professionelle Arbeit. Außerdem hatte die norwegische Polizei Halvorsens Haus hin und wieder beobachtet.«
»Warum?«
»Vor ungefähr zwei Wochen ist jemand eingebrochen und hat Halvorsens Laptop und verschiedene Unterlagen gestohlen, darunter Kopien seiner Computerdateien. Und hier wird's gespenstisch ... Halvorsen war ein sehr sicherheitsbewusster Mann und hatte seine Daten auch extern gespeichert. Jemand benutzte seinen Zugangscode und sein Passwort, um diese Dateien ebenfalls zu löschen. Wiederum die Arbeit eines wahren Profis.«
»Woran hat er gearbeitet?«, wollte van Heiden wissen. »Wir haben noch keine Details. Die Nationalpolizei Norwegens ist nämlich nicht die einzige Organisation, die an Halvorsens Tätigkeit Anteil nahm. Auch PST, die norwegische Sicherheitsagentur, und Okokrim, das Büro für Wirtschafts- und Umweltverbrechen, waren sehr an Halvorsen interessiert. Beide arbeiteten mit ihm zusammen – hauptsächlich weil sie wussten, dass er ihnen seine Erkenntnisse übermitteln würde.«
»Man scheint sich Ihnen gegenüber sehr offen geäußert zu haben«, bemerkte van Heiden.
»So ist das in Skandinavien eben.« Karin Vestergaard zuckte die Achseln. »Das Nordische Polizeiabkommen ist seit 1966 in Kraft und wurde 2002 ausgeweitet. Wir haben viel mehr Freiheit, uns informell über unsere Grenzen hinweg auszutauschen. Organisiertes Verbrechen, Rechtsextremismus und Ähnliches beschränken sich ja gewöhnlich nicht nur auf eines der Mitgliedsländer.«
»Haben wir wenigstens Hinweise darauf, womit sich Halvorsen gerade beschäftigte?«, fragte Fabel.
»Ohne seine Dateien oder deren Kopien, nein. Im Laufe der Jahre hat Halvorsen ziemlich viele wichtige Personen entlarvt, einflussreiche Personen. Er hatte gelernt, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Aber jedenfalls haben wir ein paar Theorien. Eine besagt, dass er den Frauenhandel zu seinem Thema gemacht hat. Wie Sie wahrscheinlich wissen, hat Norwegen zurzeit den Vorsitz der Interpol-Arbeitsgruppe Frauenhandel, und vielleicht wollte Halvorsen deshalb einen Artikel darüber schreiben. Ein oder zwei meiner Kollegen glauben auch, dass er kurz davor war, ein großes Umweltverbrechen durch irgendeinen Konzern – oder sogar eine Regierung – aufzudecken. Zurzeit sind wir dabei, eine Liste mit den Informationen zusammenzustellen, die er von Okokrim angefordert hatte. Wir sind uns ziemlich sicher, dass seine Enthüllungen, worauf sie sich auch beziehen mochten, etwas mit Dänemark zu tun hatten. Er machte mehrere Reisen nach Kopenhagen und scheint ein besonderes Interesse an der Öresundregion gehabt zu haben. Zum Beispiel wissen wir, dass er an der Universität Kopenhagen Nachforschungen über die politisch-wirtschaftliche Identität der Region
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