Walküre
ein Taxi finden wollten?«
»Klar ... Die Polizei teilt mir so was immer mit. Wir reden über solche Fälle. Ich bin Spezialberaterin.«
»Moment, Sie können die Klugscheißerin spielen oder sich Geld verdienen. Nicht beides.«
Die Pennerin hob ihre gepolsterten Schultern. »Nur 'n kleiner Witz. Nein ... sie haben mir keine Erklärung gegeben.«
»Noch was?«
»Sie haben mir ein Bild gezeigt. Wohl von dem Mann, der umgelegt worden is. Ich hatte ihn nie gesehen. Das hab ich auch gesagt.«
»Hat man Ihnen den Namen des Toten genannt?«
»Nein ... Aber sie meinten, er war ungefähr dreißig und nich sehr groß.«
»Pennt hier sonst noch jemand?«
»Nein, is zu weit draußen. Ich schlafe hier, weil ich 'ne Frau bin. Woanders isses nicht sicher.«
Sylvie betrachtete die Pennerin. Sie sah wie eine Achtzigjährige aus, war aber vielleicht erst vierzig. Kaum älter als Sylvie selbst. Wie konnte jemand in eine solche Situation geraten? Wahrscheinlich hatte die Stadtstreicherin alle möglichen Gräuel gesehen – und durchgemacht. Sylvie reichte ihr einen Fünfzig-Euro-Schein.
»Danke.« Die Frau war hocherfreut über ihre Belohnung. Plötzlich ließ sie Eifer erkennen. »Kommen Sie morgen wieder vorbei. Ich werd ein paar andere fragen, ob ihnen was aufgefallen is.«
»Das wäre schön.« Sylvie lächelte. »Nur zu.«
Sylvie fuhr zurück auf die Reeperbahn und parkte in der Nähe des Taxistands am Spielbudenplatz. Im Unterschied zu der Pennerin wussten die Fahrer, die auf Kunden warteten oder am Schnellimbiss eine Pause machten, ganz genau, wer Sylvie war. Sie brannten darauf, ihr zu helfen, besonders als sie andeutete, dass sie, falls sich etwas Lohnendes zutage fördern ließ, mit einem Kamerateam zurückkehren würde, um die Aussagen filmen zu lassen. Doch leider hatten die Fahrer nicht viel zu bieten, obwohl ein oder zwei sich sehr freimütig über ihre Befragung durch die Polizei äußerten.
Aus den gesammelten Informationsfetzen konnte Sylvie sich zusammenreimen, dass der Ermordete in einen elfenbeinfarbenen Mercedes der E-Klasse gestiegen war, bei dem es sich nach Ansicht der Polizei wahrscheinlich um ein falsches Taxi gehandelt hatte. Diese Art Planung wirkte auf Sylvie geradezu professionell. Die Taxichauffeure ließen sie wissen, dass nun alle Ausschau nach dem unechten Wagen und der Fahrerin hielten.
Während Sylvie sich am Spielbudenplatz aufhielt, fiel ihr ein, dass ein Besuch auf der Davidwache nützlich sein könne. Aber als sie die diensthabende Beamtin am Schalter um ein Gespräch mit Herrn Kaminski bat, musste sie sich mit der Antwort abfinden, dass er nicht zur Verfügung stehe. Auch für den Rest des Tages nicht. Sylvie versuchte, der Beamtin ein paar Einzelheiten zu entlocken, doch ohne Erfolg.
Als sie sich wieder ins Auto setzte, klingelte ihr Handy. Es war Ivonne, ihre Assistentin: Die Polizei hatte die Identität des letzten Opfers bekanntgegeben: Armin Lensch, 29, Angestellter der NeuHansa Group.
»Mein Gott, langsam geht's ans Eingemachte«, sagte Sylvie. Die NeuHansa Group gehörte Gina Bronsted, die nun für das Amt des Ersten Bürgermeisters kandidierte. Mithilfe von NeuHansa hatte Gina Bronsted überall dort die Hand im Spiel, wo es sich lohnen mochte. Eine ihrer Einflusssphären war Han-Sat TV, Sylvies Brötchengeber. Gerüchten zufolge hatte Bronsted Andreas Knabbes Start von HanSat finanziert.
»Richtig«, bestätigte Ivonne. »Anscheinend arbeitete Lensch für eine Tochterfirma, Norivon. Das ist NeuHansas Sparte für Umwelttechnologie.«
»Wirklich interessant ...« Sylvie blickte durch die Windschutzscheibe, ohne etwas wahrzunehmen. Ihr rasten ein Dutzend mögliche Verbindungen durch den Kopf. Gina Bronsted war nicht nur eine erfolgreiche Politikerin, sondern auch Multimillionärin. Ihre Kandidatur für das Hamburger Amt des Ersten Bürgermeisters beruhte auf einem Wahlkampfprogramm, in dem sie versprach, dass sie die Stadt wie ein Geschäft führen werde. Wenn ein Angestellter einer ihrer Firmen etwas mit den Morden zu tun hatte, wiewohl als Opfer, so war das nicht die Art Publizität, die sie sich wünschte. »Ivonne, ich brauche alles verfügbare Material über die NeuHansa Group und Gina Bransted. Wende dich an ein paar Leute innerhalb des Unternehmens und finde heraus, ob der Tote irgendeine Bedeutung für die Gruppe hatte. Lass alles, was du in die Finger bekommst, entweder an meine persönliche E-Mail-Adresse schicken oder heute Abend per Kurier zu meiner
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