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Walküre

Walküre

Titel: Walküre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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internationale Wohltätigkeitsorganisation mit Geschäftssitzen in einer Reihe von EU-Staaten, aber Sie haben recht: Unser Hauptsitz ist hier, und unsere Mittel stammen überwiegend aus deutschen Spenden. Ein unverhältnismäßig hoher Anteil, berücksichtigt man die wirtschaftlichen Probleme, kommt aus dem früheren Ostdeutschland. Das ist bei genauerer Betrachtung allerdings plausibel.«
    »Wohl wahr«, nickte Fabel. »Am Ende des Zweiten Weltkriegs ist mehr als eine Million – vielleicht sogar zwei Millionen – ostdeutscher Frauen von den einmarschierenden Sowjetsoldaten oftmals wiederholt vergewaltigt worden. In manchen Städten und Dörfern haben die Russen jedes weibliche Wesen zwischen zehn und achtzig Jahren geschändet, häufig vor ihren eigenen Angehörigen. Seit dem Fall der Mauer weiß man auch im Westen, dass das sowjetische Ehrenmal in Ostberlin seit Jahrzehnten als ›Denkmal des unbekannten Vergewaltigers‹ bezeichnet wurde.«
    »Man könnte argumentieren, dass die DDR ein Kind der Vergewaltigung gewesen ist«, erklärte Petra Meissner. »Während ihrer Existenz war die DDR ein Staat, der den Missbrauch seiner Frauen nicht vergessen konnte. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich bin in Dresden geboren worden. Sowohl meine Mutter, die damals zwölf Jahre alt war, als auch meine Großmutter waren Opfer. Das also ist er, Herr Fabel ... mein Beweggrund für den Kampf gegen Kriegsvergewaltigungen.«
    »Ich verstehe.« Ein verlegenes Schweigen. Fabel wusste nicht, was er zu Petra Meissners geschändeter Mutter und Großmutter sagen sollte – genau wie es ihm schwergefallen wäre, Jespersen gegenüber Stellung zu beziehen, wenn sie einander begegnet wären und Fabel aus erster Hand erfahren hätte, was dem Vater und Großvater des Dänen zugestoßen war. »Haben Sie je von einem Bosnier namens Vujacic gehört?«, fragte er schließlich und kramte nach seinem Notizbuch, um den Vornamen des Mannes nachzusehen.
    »Goran Vujacic?«, kam Petra Meissner ihm zuvor. »Natürlich. Er hatte Glück, dass er sich aus einer Anklage herausschleimen konnte. Das fragwürdigste Alibi, dem ich je begegnet bin. Vujacic war ein besonders sadistisches Ungeheuer. Er war der Anführer einer paramilitärischen Bande, die sich psoglav nannte. Das bedeutet auf Serbisch ›Hundekopf‹, aber es hat unter bosnischen Serben anscheinend einen tiefen mythologischen Sinn. In jedem anderen Rahmen, etwa in einer europäischen Stadt zu Friedenszeiten, wäre er als Sexualverbrecher und Pädophiler verurteilt worden. Aber in Kriegssituationen begehen manche Männer Taten, zu denen sie sonst vielleicht nie fähig gewesen wären.«
    »Nicht alle Männer.«
    »Nein ... nicht alle. Aber in einem militärischen Rahmen scheint es ein neues Wertesystem, eine andere Moral, zu geben. Kriegsvergewaltigung ist ein Akt der kulturellen Erniedrigung und manchmal, wie in Bosnien, des Völkermords: ein bewusster Versuch, den Genbestand des Feindes zu vernichten, indem man der weiblichen Bevölkerung Schwangerschaften und Geburten aufzwingt. In Bosnien war dies so offensichtlich eine Militärstrategie, dass die UN es zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärte. Außerdem gibt es Forschungen, die vermuten lassen, dass hier noch ein anderer Aspekt zu berücksichtigen ist: Die Teilnahme an einer Massenvergewaltigung ist für Männer innerhalb einer militärischen Gemeinschaft ein Bonding-Mechanismus. Es gab Indizien – keine Beweise, sondern eher Gerüchte und Hörensagen –, dass Vujacic Vergewaltigungen zu genau diesem Zweck einsetzte. Dadurch wurde er noch schlimmer als viele andere. Vujacic rechtfertigte dieses Vorgehen und machte es zu einem Werkzeug. Aber, wie gesagt, wir hatten nie die Möglichkeit, dies vor Gericht zu beweisen.«
    »Er mag sich aus einer Strafverfolgung herausgewunden haben, doch jemand hat ihn in Kopenhagen erwischt.«
    »Ich weiß. Es war ein zu schneller Tod. Jedenfalls nach dem zu schließen, was ich darüber gelesen habe. Was hat Vujacic mit Jake zu tun?«
    »Nichts«, erwiderte Fabel und lächelte. »Nicht das Geringste. Sein Name ist einfach in Zusammenhang mit einer anderen Angelegenheit aufgetaucht. Ich wusste, dass er am Bosnienkrieg und an der Einrichtung der Vergewaltigungslager beteiligt war.«
    »Leider ist der Fall Vujacic nun zu den Akten gelegt. Wie erwähnt, ein rascher Tod durch einen Messerstich ins Herz ist keine gerechte Strafe für all die Verbrechen, die er begangen hat. Obwohl ich verstehe, warum es

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