Walküre
zuhören wollten, hochtrabende Reden über soziale Probleme zu halten.
Fabel überflog das Hintergrundmaterial, das Anna über den Auftritt in der Sporthalle zusammengetragen hatte. Die Wohltätigkeitsorganisation, die von dem Konzert profitierte, hieß Sabinerinnen-Stiftung: eine Kriegserklärung gegen Kriegsvergewaltigungen. Aus Annas Bericht ging hervor, dass die Organisation dem Zweck diente, den Opfern militärischer oder völkermörderischer Vergewaltigungen von Bosnien bis nach Ruanda zu helfen.
Die Veranstalterin des Konzerts war eine Frau namens Petra Meissner gewesen. Der Name kam Fabel bekannt vor. Er klickte sich durch die Chronik seiner Internetsuche und fand ein Foto von Westland mit Petra Meissner, das in einem der britischen Massenblätter erschienen war. Sie war eine attraktive Frau von Mitte vierzig mit kurz geschnittenem dunklen Haar. Das Foto wirkte recht harmlos – Westland und Meissner besuchten gemeinsam eine Veranstaltung zugunsten von Meissners Organisation –, aber in der englischen Überschrift hieß es: »Wer ist das Hunnchen, Jake?« Und natürlich wurde in dem Artikel herausgestellt, dass Westlands Begleiterin Deutsche war. Es folgten allerlei geschmacklose Witze über den Krieg – die übliche Hirnlosigkeit. Fabel liebte alles an Großbritannien – außer der Presse. Und außer der Tatsache, dass die Briten als Nation für immer in der Vergangenheit stecken geblieben zu sein schienen.
Sonst konnte Fabel wenig Bemerkenswertes über Westland entdecken, abgesehen von dem ausgeprägten Geschäftssinn des Engländers. Er mochte ein mittelmäßiger Sänger und ein noch schlechterer Schauspieler gewesen sein, aber er hatte kluge Kapitalanlagen getätigt. Westlands Backlist und seine jüngeren CDs hatten ihm ein respektables Einkommen von seiner Fangemeinde gesichert, doch seine Haupteinnahmen erzielte er mit Firmenbeteiligungen. Anscheinend waren nicht Anlageberater für diesen Erfolg verantwortlich, sondern Westland selbst, der ein gutes Auge für vielversprechende Unternehmensideen oder ungewöhnliche, den meisten Investoren zu riskante Beteiligungen gehabt hatte.
Es schneite wieder, und obwohl die Straßen geräumt worden waren, lag eine weiße Decke auf den Bürgersteigen. Fabel durchquerte die Stadt und den Elbtunnel nach Hamburg-Harburg.
Die Sabinerinnen-Stiftung hatte ihre Büroräume in einem alten Gebäude, das an der Kreuzung von zwei belebten Harburger Straßen lag. Das Haus war mit prächtigem Art deco geschmückt, das jedoch durch zahlreiche Graffiti an den Wänden abgewertet wurde. Die Stiftung nahm mehrere Zimmer im Erdgeschoss ein. Fabel hatte angerufen, um einen Termin zu vereinbaren, doch als er eintrat, konnte er keinen Empfangsbereich entdecken. Aus irgendeinem Grund hatte er eine solche Formlosigkeit erwartet. Vier Frauen und zwei Männer, die meisten in Telefongespräche vertieft, arbeiteten an verschiedenen Schreibtischen. Eine große, attraktive Frau mit kurzem dunklem Haar, die er von den Fotos als Petra Meissner kannte, stand auf und kam auf ihn zu.
»Ich habe Ihre Nachricht erhalten, Herr Hauptkommissar.« Sie streckte die Hand aus und lächelte. Ohne Freundlichkeit, dachte Fabel. »Hier ist es ein bisschen chaotisch. Aber um die Ecke gibt es ein Cafe. Würde es Ihnen etwas ausmachen?«
»Nicht das Geringste.« Fabel trat zur Seite, damit sie vorangehen konnte.
»Ich nehme an, Ihr Besuch hat mit Jakes Tod zu tun«, sagte Petra Meissner. »Ich habe damit gerechnet, dass sich jemand meldet. Besonders nachdem die grässliche Frau vom Fernsehen hier war.«
»Lassen Sie mich raten – Sylvie Achtenhagen?«
»Ihre Wege haben sich gekreuzt?«
»So könnte man es ausdrücken. Frau Achtenhagen ist sehr beharrlich.«
»In meinem Fall hatte ihre Beharrlichkeit wenig Erfolg.« Ihre Miene verhärtete sich, und Fabel vermutete, dass mit ihr nicht gut Kirschen essen war. »Ich habe sie zum Teufel gejagt. Die Art, wie Jake starb ... Das war tragisch. Und widerwärtig. Die Stiftung kann auf eine solche Art von Reklame gut verzichten.«
»Genau wie seine Frau und Kinder.«
»Natürlich.« Sie rührte ihren Latte macchiato um und leckte den Schaum vom Löffel.
»Wie gut kannten Sie Herrn Westland?«
Petra Meissner lachte zynisch. »Ich hatte nicht gedacht, dass Sie wirklich solche Fragen stellen. Höchstens im Film. Wenn Sie wissen wollen, ob ich je ein Verhältnis mit Jake hatte, warum fragen Sie mich dann nicht direkt?«
»Schön. Hatten Sie ein
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