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Walküre

Walküre

Titel: Walküre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Ministeriums in Berlin-Lichtenberg. Bis zum 15.Januar 1999. Vor den Toren drängte sich eine Menschenmenge, die jederzeit hereinplatzen konnte, und alle im MfS waren damit beschäftigt, Akten zu schreddern. Als die Reißwölfe versagten, fingen wir an, die Papiere mit den Händen zu zerreißen. Es war sinnlos. Zu viele Akten. Zu viele.«
    »Was soll das, Herr ...? Wie heißen Sie? Wenn Sie wollen, dass ich Sie bezahle, muss ich Ihren Namen wissen.«
    »Das stimmt nicht. Ich bin nicht naiv. Leute wie Sie bezahlen dauernd anonyme Informanten. Und wir beide wissen, dass Sie mir das Geld nicht auf dem üblichen Weg zukommen lassen werden. Aber wenn es Ihnen Spaß macht, können Sie mich Siegfried nennen. Klingt das nicht schön wagnerianisch?« Er lachte, doch sofort folgte ein knatternder, sprudelnder Hustenanfall. Das ist nicht bloß eine Erkältung oder eine Grippe, dachte Achtenhagen. »Hören Sie mir einfach zu«, fuhr er atemlos fort, als sich sein Husten gelegt hatte. »Wie gesagt, alle anderen schredderten, aber ich schaute voraus. Ich nahm eine Akte an mich, die nicht viel hermacht. Sie enthält kaum Details außer einem Namensverzeichnis von Mitwirkenden an einem Ausbildungsprogramm. An einem sehr speziellen Programm. Auch die drei Besten werden genannt. Diejenigen, die die Anforderungen erfüllten.«
    »So faszinierend das alles ist«, sagte Sylvie Achtenhagen, »was hat es denn bloß mit den Engel-Morden zu tun?«
    »Sehr viel. Einer der Namen ist der des ursprünglichen Engels, und die jetzige St.-Pauli-Mörderin dürfte eine der beiden anderen sein. Ich weiß, dass Sie die Akte unbedingt haben müssen. Und ich werde sie Ihnen verkaufen.« Er machte eine Pause. »Für zweihundertfünfzigtausend Euro.«
    Sylvie Achtenhagen lachte laut auf. »Das soll wohl ein Witz sein. Keine Enthüllung ist dem Sender so viel wert. Und schon gar nicht irgendeine Akte über Stasi-Schnüffler, zumal mir nicht einleuchtet, dass sie etwas mit den Morden zu tun haben sollen. Das ist ein alter Hut. Niemand interessiert sich noch für die Stasi und die Hauptverwaltung Aufklärung.«
    Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille.
    »Hallo?«, rief Sylvie.
    »Wenn Sie glauben würden, dass ich Witze mache oder Ihnen Unsinn erzähle, hätten Sie inzwischen aufgelegt. Aber das haben Sie nicht getan, weil Sie wissen, dass ich die Wahrheit sage. Ich verlange zweihundertfünfzigtausend Euro. Wenn ich sie nicht bekomme, werde ich meine Informationen an einen anderen Sender oder an die Presse weitergeben. Und an die Polizei. Sie haben Ihre Karriere auf den Engel-Morden aufgebaut, Frau Achtenhagen. Wollen Sie wirklich, dass jemand anders Sie übertrumpft? Ich melde mich in zwei Tagen wieder. Bis dahin schicke ich Ihnen eine Vorleistung. Sehen Sie sich Ihre E-Mails an.«
    Dann brach die Verbindung ab.
    Sylvie Achtenhagen legte den Hörer auf und betrachtete ihn, als könne er ihr Antworten liefern. Sie ging an ihren Computer und öffnete ihre Büro-E-Mails. Dort fand sie mehrere neue Nachrichten vor, doch alle waren entweder interner Art oder bezogen sich auf ihre Arbeit. Nichts stammte von einem anonymen Absender. Sie wartete zehn Minuten und versuchte es erneut. Immer noch nichts. Ob er vielleicht ihre private E-Mail-Adresse benutzt hatte? Sie verwarf den Gedanken sofort, denn nur ein paar Freunde und Kollegen kannten sie. Aber es schadete nicht, sich zu vergewissern.
    Da war sie: eine Nachricht von »Siegfried«.
    Zwar gab es die Möglichkeit, Absender von E-Mails mithilfe ihrer IP-Adresse aufzufinden, doch Sylvie Achtenhagen war sich sicher, dass »Siegfried« als ehemaliger Stasi-Mitarbeiter wusste, wie man seine Spuren verwischte. Das kostenlose E-Mail-Konto mochte sonstwo eingerichtet und die Nachricht von einem Internetcafe oder einem WiFi-Hotspot abgesandt worden sein. Sie öffnete die Mail, die nur einen einzelnen Namen enthielt: Georg Drescher. Es gab auch einen Anhang, den sie ebenfalls öffnete: drei Farbfotos, die nebeneinander eingescannt waren. Untertitel fehlten. Es waren Frontalaufnahmen von drei Mädchen, deren Alter sie auf fünfzehn bis zwanzig Jahre schätzte. Offenbar handelte es sich um Passbilder. Die Frisur des einen Mädchens wies daraufhin, dass die Fotos mehr als zwanzig Jahre alt waren. Zwei der Porträtierten waren blond, die dritte brünett mit auffallenden blauen Augen. Ihre Gesichter hatten etwas Beunruhigendes an sich: eine erschreckende Leere. Dies war nicht nur die übliche Ausdruckslosigkeit von

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