Walküre
wäre?«
»Ja. Ganz bestimmt. Darum geht es nicht. Es kommt darauf an, wer du bist, nicht, welchem Geschlecht du angehörst. Manche sind für den Beruf geschaffen, andere nicht.«
»Meinst du, dass ich dafür geschaffen bin?«, fragte Gabi mit einer erheblichen Portion Trotz. In diesem Moment entdeckte Fabel einen Anflug von Renates Temperament in den Augen seiner Tochter.
»Das weiß ich nicht«, erwiderte er. »Wirklich. Nach all den Jahren bezweifle ich manchmal sogar, dass ich selbst dafür geschaffen bin. Ich möchte einfach nur, dass du dich so unvoreingenommen wie möglich mit deiner Zukunft beschäftigst.« Er zögerte, denn er war sich nicht ganz sicher, ob er seinen nächsten Gedanken in Worte kleiden sollte. »Ich habe nie ein schlechtes Wort über deine Mutter gesagt. Das weißt du doch?«
»Ja. Ich weiß auch, dass du gute Gründe dafür gehabt hättest.« Gabis Miene war betrübt.
»Damit werde ich auch jetzt nicht anfangen, Gabi, aber du darfst dich durch sie nicht von deinem Kurs abbringen lassen. Auch durch mich nicht. Du musst dich selbst entscheiden, und deine Mutter ist manchmal ein bisschen ...«
»Bitter?«, beendete Gabi den Satz an seiner Steile. »Die Wahrheit ist, dass sie ihren Fehler schon bald eingesehen hat. Ludiger konnte sich nie mit dir messen. Trotz seines Charmes hat er sich als Widerling entpuppt.«
»Ich habe nie gehört, warum sie sich eigentlich getrennt haben. War es wegen einer anderen Frau?«
Gabi antwortete nicht sofort. »Wusstest du das nicht, Dad? Er hat sie geprügelt.«
»Sie geschlagen?«
»Nicht oft. Und nicht so sehr, dass man es sehen konnte. Aber ein Mal ist zu oft.«
Fabel starrte Gabi an. »Ich hatte keine Ahnung ...« Seine Miene wurde plötzlich noch finsterer. »Er hat dich doch nicht angefasst, oder? Wenn er es getan hat...«
Gabi hob die Hand. »Beruhige dich, Dad ... Nein, er hat mich nicht angefasst. Glaub mir, es wäre höchstens zu einem einzigen Versuch gekommen.«
»Der Dreckskerl.« Fabel schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich meine, Renate ... Ich hätte sie mir nie als misshandelte Frau vorgestellt...«
»Nach allem, was du mir gerade über die Polizeiarbeit erzählt hast, scheint mir das eine ziemlich naive Bemerkung für einen Polizisten zu sein. Du müsstest wissen, dass man Opfer von häuslicher Gewalt nie an ihrem Äußeren erkennen kann.«
»Du sagst, es ist nicht sehr häufig passiert?«
»Es war wohl das übliche Muster. Er ist trotz geringerer Provokationen immer gewalttätiger geworden. Ich glaube, Mutti war der Meinung: Wie man sich bettet, so liegt man. Aber irgendwann beschloss sie, ihn hinauszuwerfen.«
»Hast du je gesehen, wie er sie schlug?«
»O nein ... Da war er sehr vorsichtig. Ich wusste nichts, bis Mutti mir davon erzählt hat. Nachdem alles vorbei war. Sie wünschte sich, dass sie sich nie von dir getrennt hätte. Während eurer Ehe wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, dass du sie schlagen könntest.«
»Mist«, sagte Fabel. »Ich habe nichts davon geahnt.«
»Vielleicht kannst du jetzt etwas besser begreifen, warum sie dauernd an dir herumnörgelt.«
Die Kellnerin kehrte mit den Speisen zurück. Beim Essen wechselten sie zu allgemeineren Themen über: Schule, Freunde und die Situation zu Hause. Fabel genoss die Gesellschaft seiner Tochter wie immer und war froh, sich leichteren Themen zuwenden zu können. Doch dabei dachte er unablässig an seine Exfrau Renate. Wie entschlossen und unabhängig sie stets gewesen war und wie entwürdigend es für sie gewesen sein musste, von Behrens in ihrem eigenen Haus angegriffen zu werden.
Seine Stimmung verdüsterte sich, und er musste auch an den kurzen Blick denken, den er mit der entschlossenen, unabhängigen Christa Eisel ausgetauscht hatte. Die Erinnerung daran weckte üble Gefühle in ihm.
6.
Ute Cranz schaute auf die Uhr, bevor sie den sorgfältig gedeckten Tisch noch einmal – und abschließend – musterte. Robert Gerdes würde in ein paar Minuten eintreffen. Alles war bereit. Jedes Gericht würde genau zum richtigen Zeitpunkt fertig sein. Und die Küche. Auch in der Küche war alles vorbereitet.
Sie trat auf den Standspiegel im Flur neben der Tür zu. Ihr dunkelrotes Haar war hochgesteckt, Lippenstift und Make-up perfekt aufgetragen. Sie trug ein schlichtes, doch teures tiefgrünes Kleid, dessen Glanz an Haifischhaut erinnerte. Einen Moment lang fürchtete sie, wie ein Reptil auszusehen, aber dann lachte sie über ihre eigene Unsicherheit. Die
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