Walküre
Leichen.«
»Willst du das hören oder nicht?«, fragte Susanne ungeduldig.
»Okay. Die vier Gruppen ... Und du versuchst herauszufinden, in welche unser Mädchen gehört?«
»Versuchen ist das richtige Wort. Nehmen wir die Todesengel ... Frauen, die meistens Krankenschwestern oder sonst in Medizin- oder Pflegeberufen tätig sind. Sie bringen schwache Menschen um, und zwar entweder aus Profitgründen oder weil sie glauben, dem Opfer damit einen Gefallen zu tun. Dabei geht es ihnen von Anfang an nur um die Macht, über Leben und Tod entscheiden zu können. In diese Kategorie gehört die Täterin nicht.«
»Bestimmt nicht«, bestätigte Fabel.
»Und dann die Schwarzen Witwen, die wiederum zwei Gruppen bilden: die vom Gewinn Motivierten und die Sexualtäterinnen oder psychosexuell Motivierten. Ihre Opfer sind ihnen gewöhnlich bekannt. Auf einer intimen Ebene. Sie ermorden ihre Sexualpartner oder Männer, die sie aufgegabelt haben.«
»Ich schlafe heute Nacht auf der Couch.« Fabel grinste, setzte jedoch sofort wieder eine ernste Miene auf, als Susanne ihn missbilligend ansah. »In diese Kategorie könnte unser Mädchen passen. Sie nimmt sexuellen Kontakt auf und spielt die Rolle einer Prostituierten.«
»Aber sie profitiert nicht finanziell von den Morden.«
»Immerhin hat sie Westlands Telefon, Tagebuch und Brieftasche mitgenommen.«
Susanne schüttelte den Kopf. »Das ist nicht die Art Beute, für die eine Schwarze Witwe jemanden töten würde. Und mir ist unklar, wie sie daraus einen sexuellen Nutzen zieht – es sei denn, sie hat einen Orgasmus während der Tötung, während der Gewalt selbst.«
»Aber das wäre bei einer Mörderin extrem selten, nicht wahr?«, fragte Fabel.
»Richtig«, erwiderte Susanne. »Es ist bei männlichen Serienmördern sehr verbreitet, doch bei Mörderinnen äußerst selten.«
»Allerdings nicht undenkbar?«
»Hast du von Irma Grese gehört?«
»Der Hyäne von Belsen?«, sagte Fabel stirnrunzelnd. »Ja, natürlich.«
»Sie war noch keine dreiundzwanzig Jahre alt, als sie gehenkt wurde. Also muss sie ihre Verbrechen mit neunzehn oder zwanzig Jahren begonnen haben. Sie war ein kleines, schlichtes, nicht allzu intelligentes und völlig durchschnittliches Mädchen aus einer im Grunde antinationalsozialistischen Familie. Aber sie entwickelte eine Vorliebe für außerordentliche Grausamkeit. Es war ein psychischer und physischer Drang. Sie ließ sich eine Peitsche aus Zellophan herstellen, die den Häftlingen bei der Bestrafung ins Fleisch schnitt. Auch erschoss sie Gefangene oder prügelte sie zu Tode, woraus sie offensichtlich Befriedigung zog. Alles deutet darauf hin, dass sie eine sexuelle Sadistin war.
Psychologisch dient sie als Beispiel dafür, wie der weibliche Sexualtrieb in politische oder religiöse Hysterie umgelenkt werden kann. So war Irma Grese ein absolut fanatisches Mitglied des Bundes Deutscher Mädel. Eine Besessene. Diese Mädchen wurden im anfälligsten Alter und in einem wichtigen Stadium ihrer sexuellen Entwicklung in der nationalsozialistischen Ideologie unterwiesen. Fast alle Aufseherinnen in den Konzentrationslagern hatten dem Bund angehört, und Greses sexuelle Reifung fiel mit dem Erlangen einer Machtposition zusammen, in der sie Häftlinge physisch misshandeln konnte. Es war ein außergewöhnliches Umfeld und ein außergewöhnlicher historischer Zeitpunkt.«
»Und auch Irma Greses sexueller Sadismus war außergewöhnlich«, schloss Fabel den Gedanken ab.
»Bei beiden Mordserien erscheint mir die Gewalt – die fachkundige Gewalt – ganz und gar untypisch. Ein solches Verhalten braucht normalerweise sehr, sehr lange, um auszureifen.«
»Also meinst du, es könnte dieselbe Mörderin sein?«, fragte Fabel irritiert.
8.
Sie war jünger als viele der Frauen, mit denen er in letzter Zeit zusammen gewesen war. Jünger und attraktiver. Er war von Natur aus misstrauisch und überlegte, weshalb sie die Initiative ergriffen hatte. Aber so ungewöhnlich war das wiederum auch nicht. Jüngere Frauen wurden oft zu älteren Männern hingezogen – besonders zu solchen, die sie für geistig oder finanziell überlegen hielten. Hypergamie lautete der Fachbegriff. Er lächelte bei dem Gedanken.
»Haben Sie Familie, Herr Gerdes?«, fragte Ute Cranz, die hereingekommen war, um die Suppe aufzutragen.
»Keine eigene«, erwiderte er. »Ich habe drei Nichten, die ich sehr gern mag. Und Sie, Frau Cranz? Haben Sie Angehörige?«
»Nein.« Sie machte ein trauriges
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