Walkueren
fallen. Daher war er unglaublich froh, als sich die Stationstür öffnete, Bergþór herauskam und hastig zur Tat schritt.
»Adresse!«, insistierte die Silikonschlampe, ohne aufzuschauen.
Bergþór eilte mit fliegenden Kittelschößen durch die Tür des Patientenempfangs. Er sah Guðrún und Terje. Er sah auch, wer am Empfang saß, und war mit einem Satz bei ihnen. Er fasste seine Frau bei den Schultern.
»Um Himmels willen, wie siehst du denn aus?«, sagte er. »Komm rein. Ich hab schon mit dem Stationsarzt gesprochen. Er wird sich persönlich um dich kümmern. Ich komme dann gleich wieder«, sagte er zu Terje. »Danke, dass du angerufen hast.«
»Keine Ursache«, entgegnete Terje. »Ich setze mich solange hier hin und werfe einen Blick in die Zeitschriften.«
Nachdem Bergþór mit seiner Frau in der Patientenaufnahme verschwunden war, wollte sich Terje gerade hinsetzen, als ihm einfiel, dass die Frage nach Guðrúns Adresse immer noch unbeantwortet war. Er wusste haargenau, wo im Breiðholtviertel sie wohnte, erinnerte sich aber nicht an den Straßennamen. Der würde bestimmt im Computer erscheinen, wenn man die Identifikationsnummer eingab. Er trat an die Glasscheibe und wollte mit der blonden Krankenschwester sprechen, aber sie war verschwunden, mitsamt allem Botox und Silikon wie vom Erdboden verschluckt. Die Adresse schien plötzlich keine Rolle mehr zu spielen.
Obwohl Terje nicht besonders sensibel auf Schwingungen in seiner Umgebung reagierte, spürte er: Hier läuft irgendwas. War dieser unscheinbare Arzt etwa hinter den Krankenschwestern her? Die Dame hatte ja einen ziemlichen Vorbau.
Er setzte sich und griff nach einer monatealten Klatschzeitschrift mit einem Bericht über einen Fernsehstar mittleren Alters, der nach Thailand gezogen war und dort sein Glück gefunden hatte.
Vielleicht sollte man nach Thailand ziehen, dachte Terje. Da muss man bestimmt keine ewige Liebe und Treue und Ehe versprechen, um eine Frau rumzukriegen.
Terje war Single. Als Scheidungskind glaubte er nur bedingt an ein reibungsloses Funktionieren des Zusammenlebens von Mann und Frau. Andererseits hatte er Spaß an Sex und hätte für seinen Teil nichts dagegen einzuwenden gehabt, nicht mehr so viel Freizeit damit vergeuden zu müssen, jemanden dafür zu ergattern – mit, gelinde gesagt, mäßigem Erfolg.
16
E-Mail
Kjartan A. Hansen, ehemaliger Finanzminister und inzwischen isländischer Botschafter in Kanada, war schlecht gelaunt, als er den Computer in seinem Büro in der Botschaft in Ottawa einschaltete. Der Morgen war nicht seine Zeit. Morgens herrschte Katerstimmung – der Teil des gesellschaftlichen Lebens, den er am wenigsten schätzte.
Seiner Meinung nach spielte Kanada im Vergleich mit den Vereinigten Staaten ungefähr dieselbe Rolle in der westlichen Hemisphäre wie Sibirien im Vergleich zu Russland im Osten. Endlos weite Flächen, Tundra und Wald.
Er war hereingelegt worden. So einfach war das. Ministerpräsident Jökull Pétursson hatte ihn aus der Politik vertreiben wollen, und Kjartan war während seiner Zeit als Finanzminister auch Generalsekretär der Demokratischen Partei gewesen. Deshalb hatte Jökull den Außenminister veranlasst, Kjartan einen Botschafterposten zu verschaffen.
»Beim nächsten Parteitag wird sich bekanntermaßen alles um die Neuwahl des Generalsekretärpostens drehen«, erklärte Jökull. »Die Frauenriege drängt auf eine Repräsentantin in der Parteiführung, und Jórunn Halla bekommt viel Unterstützung. Niemand weiß, wie diese Wahl ausgehen wird. Wahlen sind ja grundsätzlich eine feine Sache, aber man sollte sie, wenn möglich, umgehen. Es sei denn, man ist sich sicher, zu gewinnen. Diesmal werden wir die Regierung ein wenig umbilden, die Weiber jammern ja andauernd, sie würden übergangen.«
»Es gibt doch wirklich keinen Grund, sich das ewige Gemaule dieser irren Frauenrechtlerinnen anzuhören«, sagte Kjartan. »Jede vernünftige Frau würde eher in die Prostitution als in die Politik gehen. Politik ist ein Sport, den Männer für Männer erfunden haben. Frauenpolitik ist wie Frauenfußball – ein Witz, den sich nur Perverse und Lesben angucken.«
»Tja, so ist das nun mal«, entgegnete der Ministerpräsident. »Aber das ist auch nicht der Hauptgrund. Wir stehen kurz vor der Privatisierung der Banken und verschiedener Staatsbetriebe, und soweit ich weiß, besitzt deine Familie beträchtliche Anteile an den meisten Aktiengesellschaften, die als Käufer in Frage kommen.
Weitere Kostenlose Bücher