Walkueren
Es macht gar keinen guten Eindruck, wenn du ausgerechnet jetzt Finanzminister bleibst.«
»Aber nach China gehe ich auf keinen Fall«, protestierte Kjartan A. Hansen. »Ich ertrage es nicht, mit Leuten zu verkehren, die kein Besteck in den Händen halten können.«
»In Asien haben sie eine ziemlich alte Kultur«, sagte der Ministerpräsident, »obwohl ich dir Recht geben muss: Es sieht nicht besonders elegant aus, wie sie ihr Essen traktieren.«
»Kultur?«, fragte Kjartan A. Hansen. »Das sind doch Kommunisten. Eine Diktatur, die die Weltmacht anstrebt. Ich für meinen Teil verstehe nicht, warum ein erstklassiger Mann wie Bush solche Wirrköpfe wie diesen Saddam verfolgt, der überhaupt keine Rolle spielt, statt die wirkliche Bedrohung der Weltordnung zu bekämpfen. Schon möglich, dass Saddam ein paar Kurden umgelegt hat, aber das haben andere ja auch getan, zum Beispiel die Türken, und denen wird jetzt eine Mitgliedschaft in der EU angeboten, und sie dürfen als feine Herren in Brüssel herumstolzieren. Die Kommunisten sind das Problem, und die sitzen in China.«
»Aber sie haben sich westliche Wirtschaftsprinzipien angeeignet.«
»Dann werden sie erst recht gefährlich.«
»Und Kommunisten gibt es auch auf Kuba«, sagte Ministerpräsident Jökull, der den Theorien seines Kollegen im Großen und Ganzen zustimmte, selbst aber auch einen Aspekt beisteuern wollte.
»Das ist doch nicht vergleichbar«, meinte Kjartan. »Der alte Castro bedroht ja nicht mehr den Weltfrieden.«
»Tjajaja«, sagte Jökull. »Ich hab das mit dem Botschafterposten jedenfalls schon mit der Koalition abgesprochen.«
»Und was ist dabei herausgekommen?«
»In der letzten Zeit wurde einem Idioten nach dem anderen ein Botschafterposten verschafft, völlig gleichgültig, ob überhaupt irgendwelche Botschaften vakant waren«, erklärte Jökull. »Deshalb konnte der Außenminister nicht viel dagegen sagen, als ich ihm mitgeteilt habe, du wollest etwas kürzertreten. Wir haben das per Handschlag geregelt. Du brauchst keine Befürchtungen wegen China oder Russland zu haben. Der Außenminister hat wortwörtlich zu mir gesagt: Ich schicke ihn in den Westen.«
»In den Westen?«
»Ja.«
»Nach Amerika?«
»Ja.«
»Washington?«
»Das liegt in Amerika.«
»Ein solches Angebot kann man nicht ausschlagen«, entgegnete Kjartan A. Hansen, und das waren seine letzten Worte in der isländischen Politik.
In der darauffolgenden Woche begab er sich ins Außenministerium, um aus den Händen des persönlichen Referenten des Außenministers seine Weisung entgegenzunehmen. Der Außenminister war zu einem wichtigen Treffen mit Expräsident Nelson Mandela, Bob Geldof und internationalen Popstars nach Südafrika geflogen, wo ein Konzert zur Unterstützung der hungernden Menschen in der Welt stattfinden sollte.
Als Kjartan A. Hansen den Weisungsbrief überflog, entglitt ihm sein angeborener blasierter Upperclass-Gesichtsausdruck. Dort stand, er solle Botschafter der Republik Island in Ottawa werden.
»Da muss ein Missverständnis vorliegen, das muss korrigiert werden«, sagte Kjartan zu dem Referenten, einem Jungspund aus der Medien- oder Werbebranche. »Der Ministerpräsident hat mir mitgeteilt, es sei vereinbart worden, dass ich nach Amerika gehe.«
»Kanada ist in Amerika«, erwiderte der Jungspund, der sauer war, weil er mit der Drecksarbeit zu Hause saß und nicht zum Konzert fahren und Mandela treffen durfte.
»Ich weiß, wo Kanada liegt.«
»Kanada ist das größte Land in Amerika«, fuhr der Jungspund, ohne mit der Wimper zu zucken, fort. »Größer als die USA oder Brasilien.«
»Es wurde vereinbart, dass ich in den Westen gehe«, sagte Kjartan mit eiskalter Verachtung. »Der Ministerpräsident hat mir gesagt, die Sache sei per Handschlag besiegelt und in die Wege geleitet worden.«
»Ich war Zeuge dieses Gesprächs«, erklärte der Referent des Außenministers. »Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Uneinigkeit darüber herrscht, in welcher Himmelsrichtung Kanada liegt. Die Herren verwendeten die Formulierung ›in den Westen‹. Aber in dem Gespräch war weder von Kanada noch von den USA die Rede.«
Kjartan sagte nichts mehr. Er war lange genug in der Politik, um zu begreifen, dass er kaltgestellt worden war. Erst vom Ministerpräsidenten, dann vom Außenminister, und beide hatten erreicht, was sie wollten.
Von diesem Moment an dachte er vor allem darüber nach, wie er seine Rückkehr in die isländische Politik vorbereiten und
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