Wall Street Blues
sich auf dem großen Ledersessel zurückgelehnt, das schlanke Zigarillo angezündet und sie über einen dünnen Rauchkringel selbstbewußt angesehen. »Am Tag, an dem ich Merrill verlasse, schicke ich Ihnen das Verzeichnis der Makler in meinem Büro, und ich schreibe Ihnen auf, was jeder macht und was für eine Schwäche jeder hat. Wäre das nichts?«
Wetzon lachte laut auf, als sie daran dachte. Jener andere Barry, so arrogant, so sehr von sich überzeugt, war ganz anders als der aufgeregte junge Mann, der sie vor zehn Minuten allein gelassen hatte. Was war passiert, daß er so verändert war?
Sie griff in ihre Handtasche, nahm den Terminkalender heraus, schlug ihn auf. Sie war müde und sehnte sich nach ihrer Wohnung und einem heißen Bad.
Die kleinen Perlen, aus denen die Vorhänge an den hohen Fenstern bestanden, bewegten sich, wogten, schimmerten, als wären es Seidenbahnen. Alles in allem war es ein wunderbarer Ort. Gleichzeitig elegant, intelligent und höchst maskulin. Wie eine Jagdhütte ohne Hinweise auf den Jäger — und den Gejagten. Und sie wußte, daß das Jägerspiel hier sehr gut gespielt wurde.
Sie trank in kleinen Schlucken ihr Perrier aus dem langstieligen Weinglas und sog die Eisstückchen ein. Dann goß sie den Rest aus der Flasche ins Glas und stieß die Limonenscheibe mit der Spitze des Rührstäbchens an. Sie tupfte die verschüttete Bloody Mary mit den Servietten auf und sah nach, was von den gesalzenen Nüssen übrig war.
Der Balkon füllte sich jetzt nach und nach. Martin dirigierte geübt das Zusammenrücken von zwei Tischen in der Nähe, an die eine Gruppe japanischer Geschäftsleute mit zwei Alibiweißen gesetzt wurde. Von der Bar kam eine Lachsalve herüber.
»Dürfen wir Ihnen noch etwas bringen, Miss Wetzon?« fragte der Kellner.
»Nein, danke.« Sie wurde langsam zapplig. Verflixter Barry! Dachte er etwa, er könne sie hier bis in alle Ewigkeit sitzen lassen?
Nun kamen ständig Leute die Treppe hoch, von denen manche beim Oberkellner stehenblieben, um sich für den Speiseraum anzumelden, während andere am Eingang zum Grillroom warteten, daß ihnen ein Tisch zugewiesen wurde. Sie sah auf die Armbanduhr. Von Barry keine Spur, und es wurde spät. Er war schon über eine halbe Stunde weg. Was ihn wohl aufhielt? Er war so verrückt. Wahrscheinlich würde er wiederkommen, ganz der alte, als wäre alles in Ordnung. Darauf würde ich wetten. Okay, wenn er kommt, gönnen wir uns Tekamaki zum Essen. Sie gab ihm noch zehn Minuten.
Sie seufzte, sah sich nach dem Kellner um und signalisierte ihm mit dem Finger, daß sie zahlen wollte. Was für eine Zeitverschwendung das war.
Es herrschte nun ein ständiges Kommen und Gehen.
Sie reichte ihre American Express Gold Card und unterschrieb auf der Rückseite der Rechnung. Und wartete, daß der Kellner zurückkäme.
Sie streckte zielstrebig beide Beine unter dem Tisch aus, legte sie um Barrys Diplomatenkoffer und zog ihn zu sich heran. Die Kreditkarte und der Beleg kamen auf einem Teller zurück, dazu ein Kuli zum Unterschreiben, was sie tat, indem sie das Trinkgeld hinzufügte, dann zog sie automatisch das unterste Blatt und die zwei Durchschreibeblätter ab. Sie riß sie in Schnipsel, legte sie in den Aschenbecher, griff nach dem Diplomatenkoffer und stand auf.
Sie trug den Koffer so natürlich, wie sie normalerweise ihren eigenen trug, aber dieser hier war schwer. Voll falscher Goldbarren zweifellos. Es war unvorstellbar, daß Barry immer noch telefonieren sollte, und genauso unvorstellbar, daß er nach dem ganzen theatralischen Getue, wie sehr er sie brauche, ohne seinen Koffer und ohne eine Wort zu ihr weggegangen sein sollte.
Sie ging die Treppe hinunter und wich nach links aus, als ihr zwei Paare entgegenkamen. Die Telefonzellen befanden sich auf der anderen Seite der Lobby. Es gab zwei geschlossene Mahagonizellen, sehr solide und konservativ an der Wand gegenüber, und einen Marmorsims mit Telefonbüchern darunter an der Wand am Eingang.
Und da stand Barry über das Telefon gebeugt und redete immer noch. Sein Rücken war ihr zugewandt. Sie war plötzlich wütend. Diese Kerle waren alle egoistisch, die dachten an nichts anderes als an sich. Was machte es schon, daß sie dort oben saß und auf ihn wartete? Ihre Zeit war nicht so wertvoll wie seine. Smith sah die Typen richtig. Rücksichtslos, rücksichtslos, rücksichtslos.
Jetzt reichte es ihr. Sie ließ den Diplomatenkoffer fallen und schüttelte ihre Hand aus, dann klopfte sie
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