Wall Street Blues
und sie tun lassen würde, worauf sie sich verstand.
»Das stimmt.« Roberta nickte und lächelte mit ihren Rattenzähnen. Das schöne Kupferhaar flog um ihr Gesicht.
»Ich verstehe nicht, Roberta«, sagte Wetzon, fest entschlossen, sie am Reden zu halten. »Was haben Sie bei Jake getan, wo Sie doch für Mildred gearbeitet haben?« Ihr Mund war ausgetrocknet.
Roberta wandte den Blick von Wetzon ab. »Mildred wollte sich um mich kümmern, aber er...« Das Messer beschrieb einen tödlichen Kreis und wies auf Jake. »Er hat alles ruiniert. Und jetzt zeige ich ihm, wie dankbar ich bin. Jetzt töte ich ihn.« Sie lächelte Wetzon an. »Und dann töte ich Sie.«
»Idiot«, tobte Jake und ballte seine Hände zu zwei gewaltigen Fäusten. »Sie haben Mildred nicht mehr gebraucht. Ich hätte mich um Sie gekümmert, habe ich das nicht versprochen?«
Wetzon schauderte. Was hatte Smith gesagt? Eine Frau hat es manchmal gern, wenn man sich um sie kümmert. Und Wetzon, wie stand es um Wetzon? Wetzon, die sich immer um sich selbst kümmerte. In diesem Moment wünschte sie inbrünstig, Silvestri käme auf einem weißen Pferd dahergeritten, um die Lage zu retten. Aber sie wußte, er würde nicht kommen.
»Keine Sorge, sagten Sie, ich kümmere mich um Sie. Was für ein Witz. Auf meine Kosten. Sie wollten sich um mich kümmern, nicht wahr, Jake? Sie zeigten mir eine Kopie von Mildreds Testament, und Sie hatten recht, ich komme darin nicht vor. Sie hat mich belogen.« Sie strich sich mit der freien Hand das Haar aus dem Gesicht. »Ist das nicht komisch? Mildred hat Sie nicht für einen Killer gehalten, Jake. Ich habe ihr keine Ruhe gelassen, daß Sie es waren, aber sie begann sich alles zusammenzureimen, als Sie an dem Tag hereingestürzt kamen...«
Wetzon sah Jake an, dann Roberta. An Robertas Stelle würde sie vermutlich genau jetzt das Messer in ihn stoßen. Der Mann war ein Monster. Sie waren beide böse, aber Roberta war ein Opfer. Wetzon hatte das Gefühl, daß Jake immer genau wußte, was er tat.
»Sie hätten mir vertrauen sollen«, sagte Jake mit müder Stimme.
»Sie lügen, Sie gemeiner Scheißkerl«, sagte Roberta, immer noch in ihrem Teestündchenton.
Jake sprang vor, um ihr das Messer zu entreißen. Ihr Verstand sagte Wetzon, daß Jake sich schnell bewegte, aber ihr war, als betrachte sie einen Film in Zeitlupe.
Roberta fuhr zurück. Sie schrie: »Rühren Sie mich nicht an, Sie Mistkerl!«
Das Messer bewegte sich träge durch den leeren Raum zwischen Roberta und Jake.
Wetzon, der das Herz in den Ohren pochte, wich zurück, schlug an die Schreibtischkante, prellte sich das Steißbein. Der schmerzende Stoß hätte sie nach vorn in das Gerangel geschleudert, wenn sie sich nicht mit den Fingern an den Tisch geklammert hätte.
Jakes Stimme war ein gedämpftes Brüllen. Roberta zerschnitt die Luft mit dem Messer, zurück und vor, zurück und vor... zurück und vor.
Wie merkwürdig... da ist kein Blut, dachte Wetzon. Wie in einem Theaterstück. Das Messer ist nicht echt.
»Aufhören, aufhören, bitte hören Sie auf«, hörte Wetzon jemanden schreien und merkte, das sie es selbst war.
Ein leuchtende hochrote Blume entfaltete sich in Zeitraffer und blühte auf der weißen Tischplatte neben Wetzons Hand auf.
Blut, hochrot wie die Blume, spritzte auf Papiere, auf die Schreibtische, auf den Anrufbeantworter, auf den Boden. Das Telefon begann zu läuten. Automatisch griff Wetzon danach, und ihre Hand fand den schweren Marmorpfirsich, den sie als Briefbeschwerer auf dem Tisch liegen hatte. Ohne zu denken, schlossen sich ihre Finger darum. Sie hob ihn hoch, zielte, wie sie es als Tänzerin gemacht hatte, auf Robertas weiße Stirn und schleuderte ihn mit aller Kraft.
Jake schlurfte einen eigenartigen Tanz, dann fiel er auf die Knie.
Der Anrufbeantworter schaltete sich ein, und wer immer es war, legte auf.
Der Marmorpfirsich machte ein weiches, dumpfes Geräusch, als er Robertas Stirn traf. Sie hielt inne, machte einen lässigen Schritt auf Wetzon zu, als wolle sie sich mit ihr unterhalten.
»Nein, bitte«, schrie Wetzon.
Robertas Augen brannten. Der Marmorpfirsich fiel auf den Boden und zersprang. Roberta machte noch einen Schritt, dann stürzte sie.
»Oh, Gott, ich habe sie getötet.« Wetzons Gesicht war naß. Sie hatte nicht gemerkt, daß sie weinte. Sie schwankte. Der ekelhafte, süßliche Geruch des Bluts, vermischt mit dem Maiglöckchenduft, war betäubend. Nach Luft schnappend schaffte sie es bis zur Toilette,
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