Wall Street Blues
den dicken Gläsern waren ernst.
»Leon, um Gottes willen«, sagte Smith.
»Laß nur, Smith«, warf Wetzon ein, »die Frage ist erlaubt. Nein, Leon, ich glaube nicht.«
»Sie schaffen das schon. Ich habe eine ziemlich wichtige Besprechung heute nachmittag, sonst würde ich mitgehen.«
»Jake Donahue?« Smith’ Stimme klang schüchtern.
Leon stocherte mit dem Zeigefinger nach den Eiswürfeln in seinem Glas. »Es kann nicht schaden, wenn ich es Ihnen jetzt erzähle, weil es vor einer Stunde in den Nachrichten kam. Donahue hatte Geschäftsbeziehungen mit Kaplan, Moran... Sie wissen über die Firma Bescheid?«
»Ja«, sagte Wetzon mit großen Augen, während es in ihrem Kopf arbeitete.
»Kaplan, Moran?« wiederholte Smith, die versuchte, den Namen einzuordnen.
»Ja, das Wertpapierhaus in Atlanta, das wegen Rückkaufabsprachen Pleite gemacht hat. Es wurde gestern dichtgemacht«, erklärte Wetzon.
»Es findet jetzt eine Untersuchung statt. Die SEC ist damit befaßt.« Leons Ton verriet nichts, aber sein Gesicht war verbissen.
»Wie ernst?« fragte Wetzon.
»Ernst.«
»Sie werden wohl wissen, daß Barry Stark für Jake Donahue gearbeitet hat?« sagte sie.
Ihr Essen wurde serviert.
»Noch einen Lillet, bitte«, sagte Smith.
Keiner nahm eine Gabel in die Hand oder warf auch nur einen Blick auf seinen Teller.
»Ich weiß«, sagte Leon. »Was meinen Klienten, Mr. Jacob Donahue, betrifft, so wären wir sehr daran interessiert, was dieser kleine Schlüssel aufschließt.« Er blickte von Smith zu Wetzon, während er ein Stück Leber abschnitt und zum Mund führte. Er kaute sehr langsam und schluckte, während er die gespannte Aufmerksamkeit der beiden Frauen genoß. »Weil, meine Lieben, und das ist nur für Ihre Ohren bestimmt, plötzlich sehr viel nicht verbuchtes Geld in der Firma meines Klienten ist.«
S ie saßen träge am Tisch vor ihrem Kaffee, nachdem Leon gegangen war. Wetzon spürte allmählich die belebende Wirkung des Koffeins. Manchmal brauchte man einen kleinen künstlichen Muntermacher, erklärte sie sich, denn im allgemeinen versuchte sie, möglichst wenig Chemie anzurühren. Dieser Gedanke erinnerte sie an die Tabletten, die ihr der Arzt mitgegeben hatte. Was hatte sie mit denen gemacht?
»Interessant«, sagte sie, indem sie geistesabwesend mit den Krümeln herumspielte. Die kleinen Brotkrümel hüpften auf dem weißen Tischtuch herum, während sie ihren Kaffeelöffel hin und her bewegte. »Smith...«
»Wetzon...«
Sie lachten.
»Leon ist anscheinend aufgeregt«, begann Wetzon.
»Ja.« Smith war nachdenklich. »Ich nehme an, wegen Jake Donahue, aber deshalb braucht er noch lange nicht in diesem Ton mit dir zu sprechen.«
»Komisch, daß er dort war«, grübelte Wetzon. »Ich frage mich, ob er dort war, als es passierte.«
»Wo? Wovon redest du, Wetzon?«
»Leon. Er war dort. Er war gestern abend im Four Seasons. Ich bin praktisch mit ihm zusammengestoßen, bevor ich Barry traf.«
»Leon? Er war dort? Nicht zu fassen.« Smith war ungehalten. »Warum hat er mir nichts davon gesagt? Wer war bei ihm?«
»Ich weiß nicht. Es war überfüllt, und ich konnte nichts sehen — und wenn ich es mir jetzt so überlege, war er auch nicht gerade erpicht, daß ich es sehen sollte.« Sie erinnerte sich, wie er sich vor sie gestellt und ihr absichtlich die Sicht zur Bar versperrt hatte, und wie er sie zu den Sesseln geführt hatte.
Smith tätschelte Wetzons Hand. »Überlaß das mir, Kleines. Ich kriege es heraus. Erzähle niemand, daß Leon dort gewesen ist... auch nicht Silvestri.« Sie holte den Schlüssel aus der Tasche. »Zunächst müssen wir über wichtigere Dinge nachdenken.« Sie starrten beide den Schlüssel an.
»Was meinst du, was...« begann Wetzon.
»Und wenn wir...« sagte Smith. »Wenn wir den Schlüssel nicht Silvestri gäben?«
»Wie meinst du das?«
»Ich meine... nicht sofort.«
Wetzon blieb eine Weile still.
»Wetzon?«
»Das dürfen wir nicht. Er ist ein Beweisstück in einem Mordfall.«
»Selbstverständlich können wir den Schlüssel nicht behalten, aber darum geht es nicht. Wir könnten ihn aber eine Weile zurückhalten und sehen, ob wir nicht herausbekommen, was er aufschließt. Kann doch nicht schaden. Und vielleicht verdienen wir sogar etwas damit — sagen wir, einen Finderlohn.« Smith setzte ihr Gaunerlächeln auf und gab sich sehr lieb und überzeugend. »Hör zu, Schatz, du bist jetzt müde, und du hast viel durchgemacht. Warum wartest du nicht, bis du klar
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