Wall Street Blues
außerdem«, Smith lachte ihr höhnisches boshaftes Lachen, »denk an all die dankbaren Leute...«
W ie unrecht war es überhaupt? fragte sich Wetzon. Sie würden abwarten, worauf die Polizei stoßen würde... Nein, es war unrecht. Durch und durch. Es roch unrecht. Smith brachte es immer wunderbar hin, die Dinge auf den Kopf zu stellen. Sie war eine Verführerin, wie sie im Buche steht. Sie konnte durch bloßes Reden Stroh zu Gold spinnen.
»Nein«, sträubte Wetzon sich. »Es ist unrecht.«
»Also, ehrlich, Wetzon, du bist so was von zimperlich«, erwiderte Smith. »Gut, ich übernehme die Verantwortung... wenn etwas passiert... aber was kann schon passieren?« Sie war die Unschuld in Person.
»Okay, okay. Ich gebe auf. Du hast gewonnen.« Wetzon konnte es nicht ausstehen, zimperlich genannt zu werden, und Smith wußte das genau.
Sie standen vor dem Schlüsseldienst Sy’s Locks an der Ecke Second Avenue und 60. Street, unter der Hochbahn zum Roosevelt Island. Sy hatte ein Ladengeschäft, einen winzigen Raum von der Breite einer Tür. Es war genaugenommen eine Tür. Der obere Teil ließ sich separat öffnen, und Sy hatte eine Tischplatte am oberen Ende des Unterteils der Tür befestigt. In die Seitenwand links waren Nägel eingeschlagen, Hunderte in vielen Reihen, mit Tausenden von Schlüsseln. Eine nackte Glühbirne, die von der Decke hing, beleuchtete den lächerlich engen Raum. Ein Geschäft in einem Durchgang geschaffen. Das konnte es nur in New York geben, wo Platz so wertvoll war.
Eine gerahmte Fotografie von Milton Berle starrte zu ihnen heraus. Für Sy, den besten Schlosser in der Stadt. Herzlichst, Onkel Miltie.
»Was kann ich für die Damen tun?« Sy war ein auffallend kleiner Mann mit starkem Brooklyner Tonfall. Sein Gesicht schien nur aus Narben und Warzen zu bestehen, und aus diesem Gewirr sprossen weiße und graue Bartborsten hervor.
»Den Schlüssel, bitte, Wetzon.« Smith hielt eine Hand hin. Es war keine Bitte, es war ein Befehl.
Wetzon seufzte und reichte ihr den Schlüssel.
»Dreh dich um, Wetzon«, ordnete Smith an. »Das ist allein meine Idee. Vergiß nicht, ich nehme es auf meine Kappe.«
»Bringen wir’s hinter uns«, sagte Wetzon durch zusammengebissene Zähne.
»Wir möchten gern diesen Schlüssel kopieren lassen.«
Sy nahm den Schlüssel und betrachtete ihn mißtrauisch. »Hm-hm«, grunzte er, bewegte sich in dem engen Schlauch nach hinten und suchte. »Aha, hier.« Er hielt einen Schlüssel hoch, spannte dann beide in den Schraubstock der Maschine auf seinem Ladentisch, ließ den Motor eine Sekunde oder so laufen und drehte den Schraubstock auf. Er hielt beide Schlüssel ins Licht, nahm eine große Metallfeile und fuhr damit ein paarmal über den neuen Schlüssel. »Hm-hm«, grunzte er noch einmal, während er den neuen Schlüssel mit seinem schwieligen Daumen nach rauhen Stellen befühlte.
Dann legte er beide Schlüssel vor Smith auf das Brett. Smith hielt sie aneinander. Vollkommen gleich.
»Perfekt«, bestätigte sie.
»Wofür, glauben Sie, wurde er gemacht?« fragte Wetzon.
»Geldkassette«, sagte Sy, nahm die Mütze ab und kratzte sich an seiner kahlen Stelle. »Wie man sie im Eisenwarengeschäft bekommt, könnte sein. Oder ein Schränkchen, bei einem Architekten oder Zahnarzt.«
»Wieviel?« fragte Smith.
»Drei Dollar.«
Sie gab ihm drei Dollarscheine und nahm die Schlüssel. »Einen für dich, Wetzon, und einen für mich«, sagte sie und steckte ihren in die Tasche. »Überlaß das mir. Wir legen ihn an einen guten, sicheren Platz, und ich spreche mit den Karten.«
»Es ist halb vier. Wir machen uns lieber auf den Weg.« Wetzon war jetzt davon überzeugt, daß die Polizei in Barrys Zimmer finden würde, wozu der Schlüssel paßte. Der Schlüssel war so leicht nachzumachen gewesen. Wenn es sich um einen Tresorschlüssel oder Briefkastenschlüssel gehandelt hätte, hätte Sy etwas gesagt... oder nicht?
Sie blickte nach oben in den klaren blauen Himmel über der gewaltigen Betonkonstruktion der Hochbahn. Es würde gut ausgehen. Sie beobachtete, wie die Bahn, ein leuchtend roter Wagen, in die Station gezogen wurde. Sie schien hineinzuschweben.
»Komm, wir rufen Harold an und lassen uns berichten, was sich im Büro tut«, sagte Smith.
Sie blieben an einem Münztelefon beim Eingang zum D-&-D-Gebäude an der 59. Street stehen, und Smith rief Harold per R-Gespräch an.
»Mir wäre es lieber, wenn du das nicht tätest«, beklagte sich Wetzon.
»Ich weiß, aber ich
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