Wall Street Blues
Metzger vom letzten Abend im Four Seasons. Seine Tränensäcke sahen bei Tageslicht noch schlimmer aus. Metzger war am Telefon und machte Notizen in einem Notizbuch mit Eselsohren. »Ich warte lieber unten oder hier draußen«, sagte Smith, indem sie auf den »Börsensaal« deutete.
»Meinen Sie?« Silvestri schien etwas enttäuscht. »Wir können noch einen Stuhl holen.«
»Nein, nicht nötig. Ich möchte sowieso im Büro anrufen.«
»Sie können einen von den Schreibtischen hier draußen benutzen.«
»Ich gehe runter zum Münztelefon«, sagte Smith fröhlich. »Zerbrecht ihr beide euch nicht meinetwegen den Kopf.«
Wetzon schaute Smith argwöhnisch an. Smith führte etwas im Schilde. Wenn sie am unschuldigsten aussah und klang, hatte sie etwas höchst Unheilvolles im Sinn.
»Hier, Miss Wetzon, setzen Sie sich. Ich hole einen Stenografen.« Silvestri ging in den Hauptraum und sprach mit einem ordentlich gekleideten Mann in einer buntkarierten Sportjacke und grauen Hose. Der Mann nahm einen Metallkasten und kam hinter Silvestri ins Büro. Er legte sein Arbeitsgerät bereit und wartete. Silvestri rutschte auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch und gab Metzger ein Zeichen, der darauf sein Telefongespräch beendete.
Wetzon sah Smith warten, bis alle saßen, dann sich schnell umdrehen und in Richtung Treppe verschwinden. Sie trug Sandaletten, und das Geräusch der klappernden Absätze trug bis in Silvestris Büro. Warum hatte sie unbedingt mit dem Lift nach oben fahren wollen und ging nun die Treppe hinunter? Smith war ein solches Rätsel.
Wetzon richtete ihre Aufmerksamkeit auf Silvestri und spürte eine warme Woge von den Fingerspitzen bis in die Wangen aufsteigen. Sie fühlte sich so zu ihm hingezogen, daß sie fürchtete, man könne es ihr ansehen. Sie senkte den Blick auf die Hände. Sie wünschte so sehr, einen guten Eindruck zu machen. Er räusperte sich höflich, und sie hob den Kopf. Silvestri sah sie erwartungsvoll an, als habe er eine Frage gestellt.
»Verzeihung.« Sie war verwirrt. »Haben Sie etwas gesagt?«
»Ja. Ich habe Sie gefragt, ob Sie bereit sind anzufangen.«
Wetzon nickte und schluckte dabei mühsam.
»Seien Sie ganz locker«, sagte er verständnisvoll. »Beantworten Sie einfach die Fragen so genau wie möglich. Ich lege Ihnen keine Daumenschrauben an. Möchten Sie einen Kaffee oder eine Cola?«
Sie schüttelte den Kopf und fühle sich sehr allein. »Nur Wasser bitte, und ich bin bereit.«
S ilvestri zog mit übertriebener Sorgfalt die Jacke aus, einen Ärmel nach dem andern, und hängte sie über seine Stuhllehne. Er trug ein blau und weiß gestreiftes Hemd und einen hellbraunen ärmellosen Pullover, und Wetzon sah die Verdickung durch den Verband unter dem Ärmel nahe der linken Schulter. Eine Waffe war nicht zu sehen. Warum trägt er den Arm nicht in einer Schlinge? dachte sie. Er muß doch Schmerzen haben. Als er hinaus in den Bereitschaftsraum ging, um für sie Wasser und für sich einen Kaffee zu holen, bemerkte sie eine andere Verdickung unter seinem Pullover, mitten am Rücken über dem Gürtel. Seine Pistole.
Nervös sah Wetzon sich um. Das Zimmer, in dem sie saß, war kleiner als das Büro, das sie mit Smith teilte, aber es täuschte mehr Platz vor, weil es von halber Höhe an Glaswände hatte.
An den Halbfenstern ringsum waren Jalousien angebracht, so daß, wenn nötig, Ungestörtheit offenbar garantiert war. Ein großer Stadtplan hing an der Wand hinter Silvestris Schreibtisch, ein Kalender an einem Nagel an der seitlichen Wand. Der Kalender zeigte noch den Februar.
Allem hätte ein Anstrich gutgetan. An der Decke war ein häßlicher brauner Fleck, der nach einer undichten Stelle aussah, wo der Verputz Blasen geworfen hatte und getrocknet war, und an den Wänden waren abgestoßene Stellen und Kratzspuren. Jemand hatte mit einem Textmarker Telefonnummern an die Wand geschrieben.
An dem niedrigen Sims um das Büro, wo Fenster und Wand sich trafen, hingen Klemmbretter. Fälle vermutlich. Sie sah, daß Silvestri draußen im Bereitschaftsraum stehengeblieben war und mit einem anderen Detective redete, der einen Fuß auf einen Stuhl stützte und ein Hosenbein hochgezogen hatte. Er zog eine Socke gerade — nein, es war nicht seine Socke, es war eine Pistolenhalfter. Sie war so fasziniert, daß sie aufstand und nahe ans Fenster trat, um es besser zu sehen.
Metzger reckte sich, als wolle er nachsehen, was sie so gespannt betrachtete, und murmelte: »Blöder Cowboy.«
Der
Weitere Kostenlose Bücher