Wall Street Blues
Abend essen, Liebling?« fragte Carlos.
»Chinesisch. Rind in Orangensoße — gut gewürzt.«
»Was dazu?« half er nach, weil er wußte, daß sie selten von dem abwich, was sie mochte.
»Körnig gedünsteten Reis... kalte Nudeln mit Sesamsoße.«
»Bei George, sie hat es!« verspottete Carlos sie, verspottete My Fair Lady.
Georgie, dachte sie. Sie hatte vergessen, Georgie anzurufen.
»Ich gehe beim Food Emporium vorbei und fülle deine Speisekammer auf«, sagte Carlos.
»Gut. Ich muß ein paar Anrufe erledigen.«
»Oh, Kleine, du weißt nie, wann du aufhören sollst.«
Sie schob ihn zur Tür. »Raus mit dir. Und beeil dich nicht.«
Der Zettel mit Georgies Telefonnummern war in ihrer Handtasche. Sie fand ihn und wählte die erste Nummer.
»Ja?«
»Georgie? Wetzon.«
»Die Bullen waren gerade hier.« Er hörte sich nervös an. »Wo sind Sie?« Seine Stimme war undeutlich, wie wenn er getrunken hätte.
»Ich bin zu Hause.«
»Ich komme gleich rüber.«
»Warten Sie... nein. Besser nicht.« Sie dachte kurz nach. Carlos würde mindestens eine Stunde wegbleiben.
»Okay«, sagte Georgie schnell. »Ich treffe Sie in einer Viertelstunde im Amsterdam .«
»Moment...« Aber er hatte aufgelegt. Verdammt. Sie hatte gehofft, eine erneute Begegnung zu vermeiden. Er vermittelte ihr ein ungutes Gefühl. Hol’s der Teufel. Am besten traf sie ihn jetzt, damit sie es hinter sich hatte.
Sie holte ihre Jeansjacke aus dem Flurschrank und schrieb Carlos rasch eine harmlose Nachricht, sie habe etwas zu erledigen vergessen und sei bald zurück.
Georgie hing über einem Bier am anderen Ende der Bar, die sich eben erst allmählich füllte. Das Amsterdam machte ein ausgezeichnetes Geschäft mit den »Happy-hour«-Typen, die nahtlos in die Yuppie-Schar nach sieben Uhr überging. Die eigentlichen Essensgäste kamen nicht vor acht Uhr.
Georgie war noch genauso angezogen, wie sie ihn am Morgen gesehen hatte, sogar bis zu seiner Ray Ban, und er rauchte einen Zigarettenstummel.
»Ich nehme so eins.« Wetzon deutete auf sein Bier und rutschte auf den hohen schwarzen Hocker neben ihm. Sie sah ihr Abbild in der Mitte der dunklen Spiegel seiner Brille. »Falls wir miteinander reden wollen, Georgie, müssen Sie die Sonnenbrille absetzen«, sagte sie gereizt. Leute, die dunkle Brillen trugen, hinter denen man ihre Augen nicht sah, hatten etwas Bestimmtes an sich — Feindseligkeit, etwas Bedrohliches. Und davon hatte sie heute weiß Gott genug gehabt. Sie strich mit den Fingern leicht über die rissige Emailfläche der Theke.
Drei fröhlich gekleidete junge Frauen kamen lachend herein, und eine nahm den Hocker neben Wetzon, während die andern plaudernd stehen blieben.
Georgie schob die Sonnenbrille auf den Kopf, und Wetzon erschrak. Seine Augen waren blutunterlaufen, sein Blick glasig, aber wachsam. »Kommen Sie«, knurrte er. Er nahm ihr Bier und sein Glas und schob sie zu einem der mit blau und weiß karierten Tischtüchern gedeckten Tische.
Sie bereute, daß sie hergekommen war, um ihn zu treffen. Er sah gemein und unheimlich aus. In seinem Gesicht sprossen rötliche Bartstoppeln. Sie setzte sich widerstrebend. »Was möchten Sie, Georgie?«
Er rieb sich die Augen. Ein Kellner brachte noch zwei Bier. Er trank das eine zu Ende und begann ein neues.
»Ich möchte wissen, was Barry Ihnen gestern abend erzählt hat.« Er kippte den Wiener Stuhl bedenklich nach hinten und zündete eine neue Zigarette an.
Zigarettenrauch schwebte in der Luft zwischen ihnen.
»Nichts. Er hat mir nichts erzählt«, sagte sie ungeduldig. »Er hatte keine Gelegenheit dazu. Er setzte sich zu mir, sprang auf, und ich sah ihn nicht wieder — ich meine — lebend.« Sie hatte jetzt vor Georgie keine Angst mehr; sie war wütend. »Was geht hiervor, Georgie?«
»Hören Sie, Wetzon.« Georgie trank mehr als die Hälfte des zweiten Biers in einem Zug. »Ich möchte Sie nicht quälen, aber Barry war mein bester Freund. Ich will wissen, was passiert ist und wer ihn getötet hat.«
Sie wurde weicher, während sie sein verwüstetes Gesicht ansah. »Tut mir leid. Ich will versuchen, Ihnen zu helfen.«
»Die Bullen waren bei mir. Haben eine Menge Fragen gestellt, wo ich zu der Zeit war — ich war mitten in einer Sitzung bei meiner Werbeagentur — ich bin also draußen.«
Wetzon hatte Georgie nicht für einen Verdächtigen gehalten, aber jetzt erwog sie es. Konnte er jemanden töten? Keine Frage.
Sie wechselte das Thema. »Kannten Sie Barry von
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