Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Rydberg.
Kurt Wallander wußte genau, was er meinte.
Zwanzig Kilometer von Lenarp entfernt gab es ein großes Auffanglager für Asylbewerber, das schon mehrfach zum Ziel ausländerfeindlicher Anschläge geworden war. Mehrere Male waren nachts Kreuze auf dem Vorplatz verbrannt worden, Fenster mit Steinen eingeschlagen, die Fassaden mit Parolen beschmiert. Das Auffanglager in dem alten Schloß Hageholm wurde trotz massiver Proteste aus den umliegenden Gemeinden eingerichtet. Und die Proteste hatten nie aufgehört.
Die Ausländerfeindlichkeit brodelte weiter.
Kurt Wallander und Rydberg wußten außerdem noch etwas, was der Öffentlichkeit nicht bekannt war.
Einige der auf Hageholm einquartierten Asylbewerber |54| hatte man auf frischer Tat bei dem Versuch ertappt, in eine Firma einzubrechen, die landwirtschaftliche Maschinen verlieh. Glücklicherweise gehörte der Inhaber der Firma nicht zu den vehementesten Gegnern des Asylrechts, so daß die ganze Sache gar nicht erst an die Öffentlichkeit gelangte. Die beiden Männer, die den Einbruch begangen hatten, befanden sich außerdem schon nicht mehr im Lande, da ihr Antrag auf Asyl abgelehnt worden war.
Aber Kurt Wallander und Rydberg hatten mehrere Male darüber gesprochen, was hätte passieren können, wenn die ganze Sache publik geworden wäre.
»Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen«, meinte Kurt Wallander, »daß asylsuchende Flüchtlinge einen Mord begangen haben sollen.«
Rydberg sah Kurt Wallander nachdenklich an.
»Erinnerst du dich daran, was ich über die Schlinge gesagt habe«, sagte er.
»Irgendwas mit dem Knoten?«
»Ich habe ihn nicht wiedererkannt. Und ich weiß eine ganze Menge über Knoten aus der Zeit, als ich noch jung war und die Sommer mit Segeln verbrachte.«
Kurt Wallander schaute Rydberg aufmerksam an.
»Worauf willst du hinaus?« wollte er wissen.
»Ich will darauf hinaus, daß dieser spezielle Knoten kaum von jemandem geknüpft worden sein kann, der einmal Mitglied bei den schwedischen Pfadfindern gewesen ist.«
»Sag mal, worauf willst du eigentlich hinaus?«
»Darauf, daß dieser Knoten von einem Ausländer gemacht wurde.«
Noch bevor Kurt Wallander ihm antworten konnte, kam Ebba in die Kantine, um sich einen Kaffee zu holen.
»Geht nach Hause und legt euch schlafen, wenn ihr morgen wieder auf dem Posten sein wollt«, sagte sie. »Es rufen übrigens ständig Journalisten an, die wollen, daß ihr euch äußert.«
»Wozu?« gab Wallander zurück. »Zum Wetter?«
|55| »Sie scheinen herausgefunden zu haben, daß die Frau gestorben ist.«
Kurt Wallander sah Rydberg an und schüttelte den Kopf.
»Heute abend sagen wir noch nichts«, entschied er. »Wir warten bis morgen.«
Kurt Wallander stand auf und ging zum Fenster. Der Wind hatte weiter zugenommen, aber der Himmel war immer noch wolkenlos. Es würde wieder eine eisige Nacht werden.
»Es wird sich wohl auf Dauer kaum vermeiden lassen, darüber zu informieren, wie die Dinge liegen«, sagte er. »Daß sie noch dazu kam, etwas zu sagen, bevor sie starb. Und wenn wir das weitergeben, dann müssen wir auch zugeben, was sie gesagt hat. Und spätestens dann wird’s Ärger geben.«
»Wir könnten zumindest versuchen, es geheim zu halten«, meinte Rydberg, stand von seinem Stuhl auf und setzte seinen Hut auf. »Aus fahndungstechnischen Gründen.«
Kurt Wallander sah ihn erstaunt an.
»Um dabei zu riskieren, daß nachher bekannt wird, wie wir der Presse absichtlich wichtige Informationen vorenthalten haben? Daß wir hingegangen sind und ihnen ausländische Täter verschwiegen haben?«
»Es sind so viele Unschuldige betroffen«, sagte Rydberg. »Was glaubst du eigentlich, was da draußen beim Auffanglager los ist, wenn erst bekannt wird, daß die Polizei nach Ausländern fahndet?«
Kurt Wallander wußte, daß Rydberg recht hatte.
Plötzlich war er sich nicht mehr sicher.
»Wir schlafen erst einmal eine Nacht drüber«, schlug er vor. »Laß uns noch einmal darüber reden, nur du und ich, morgen früh um acht. Dann entscheiden wir uns.«
Rydberg nickte und humpelte zur Tür. Dort blieb er stehen und wandte sich noch einmal zu Kurt Wallander um.
»Es gibt da noch eine Möglichkeit, die wir nicht außer acht lassen dürfen«, sagte er. »Daß es wirklich Asylanten waren.«
|56| Kurt Wallander spülte die Kaffeetasse aus und stellte sie in den Geschirrständer.
Eigentlich wäre mir das sogar recht, dachte er. Eigentlich wäre es mir recht, wenn sich die Mörder in diesem
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