Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
hatte.
Er ging auf die Straße hinaus, wo ihm der kalte und beißende Wind entgegenschlug. Er fuhr auf die östliche Umgehungsstraße und bog schließlich auf die Hauptstraße in Richtung |61| Malmö. Bevor er um acht Uhr Rydberg treffen würde, wollte er noch einen Besuch bei den Nachbarn der Toten machen. Er wurde einfach das Gefühl nicht los, daß irgend etwas nicht stimmte. Überfälle auf einsame, alte Menschen waren selten zufällig. Ihnen gingen oft Gerüchte um verstecktes Geld voraus. Und auch wenn die Überfälle brutal waren, so waren sie doch selten von dieser methodischen Brutalität geprägt, wie er sie an diesem Tatort erlebt hatte.
Die Leute auf dem Land stehen morgens zeitig auf, dachte er, als er auf den schmalen Weg bog, der zu Nyströms Haus führte. Vielleicht haben sie noch einmal über alles nachgedacht?
Er hielt an und schaltete den Motor aus. Im gleichen Moment wurde das Licht in der Küche gelöscht.
Sie haben Angst, dachte er. Vielleicht glauben sie, daß es die Mörder sind, die zurückkommen?
Er ließ die Scheinwerfer an, als er aus dem Auto stieg, und ging über den Schotter hinüber zur Eingangstreppe.
Er ahnte das Mündungsfeuer mehr, als daß er es sah, als es aus einem Wäldchen neben dem Haus aufflammte. Der ohrenbetäubende Knall brachte ihn dazu, sich Hals über Kopf auf die Erde zu werfen. Ein Stein schürfte ihm das Gesicht auf, und einen kurzen Moment lang glaubte er, getroffen worden zu sein.
»Polizei«, schrie er. »Nicht schießen! Verdammter Mist, nicht schießen!«
Eine Taschenlampe leuchtete ihm ins Gesicht. Die Hand, die die Lampe hielt, zitterte so, daß sich der Lichtkegel flackernd hin und her bewegte. Es war Nyström, der mit einer alten Schrotflinte bewaffnet vor ihm stand.
»Sie sind es?« fragte er.
Wallander stand auf und bürstete sich den Kies von den Kleidern.
»Worauf haben Sie gezielt?« wollte er wissen.
»Ich habe in die Luft geschossen«, antwortete Nyström.
|62| »Haben Sie einen Waffenschein?« fragte Wallander weiter. »Ansonsten könnten Sie jetzt ganz schöne Schwierigkeiten bekommen.«
»Ich habe diese Nacht Wache gestanden«, sagte Nyström. Kurt Wallander hörte, wie verwirrt der Mann war.
»Ich mache erst einmal die Scheinwerfer aus«, meinte Wallander. »Dann können wir uns weiter unterhalten, Sie und ich.«
In der Küche lagen zwei Schachteln mit Schrotpatronen auf dem Tisch. Auf der Küchenbank lagen außerdem noch ein Brecheisen und ein Vorschlaghammer. Die schwarze Katze hockte auf der Fensterbank und starrte ihn bedrohlich an, als er hineinkam. Nyströms Frau stand am Herd und kochte gerade Kaffee.
»Ich konnte doch nicht ahnen, daß es die Polizei sein würde«, sagte Nyström entschuldigend. »So früh am Morgen.«
Kurt Wallander rückte den Vorschlaghammer zur Seite und setzte sich hin.
»Ihre Nachbarin ist gestern abend gestorben«, sagte er. »Ich dachte, es sei besser, herauszufahren und es Ihnen persönlich zu sagen.«
Immer, wenn Kurt Wallander gezwungen war, die Nachricht vom Tode eines Menschen zu überbringen, überfiel ihn das gleiche Gefühl: auf eine würdevolle Art und Weise fremden Menschen beizubringen, daß ein Kind oder ein Angehöriger plötzlich ums Leben gekommen war, war einfach unmöglich. Todesfälle, von denen die Menschen durch die Polizei erfuhren, kamen immer unerwartet, meist gewaltsam und grausam. Jemand hat sich nur in sein Auto gesetzt, um kurz zum Einkaufen zu fahren, und kommt dann um. Ein radfahrendes Kind wird auf dem Heimweg vom Spielplatz überfahren. Jemand wird zusammengeschlagen oder ausgeraubt, begeht Selbstmord oder ertrinkt. Wenn die Polizei im Türrahmen steht, weigern sich die Menschen, die Nachricht zu begreifen.
|63| Die beiden Alten in der Küche waren still. Die Frau war immer noch damit beschäftigt, den Kaffee aufzusetzen. Der Mann fingerte an der Schrotflinte herum, und Wallander zog sich unauffällig aus der Schußlinie zurück.
»Maria ist also nicht mehr«, sagte der Mann langsam.
»Die Ärzte haben getan, was sie konnten.«
»Es ist vielleicht auch besser so«, sagte die Frau vom Herd her, unerwartet heftig. »Wofür sollte sie denn noch leben, jetzt, wo er doch tot ist?«
Nyström legte das Gewehr auf den Küchentisch und stand auf. Wallander merkte wieder, daß der Mann Schmerzen im Knie hatte.
»Ich gehe mal und geb’ dem Pferd etwas Heu«, meinte er und setzte sich eine alte Schirmmütze auf.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mitkomme?« fragte
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