Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
hatte Kurt Wallander gefragt.
Danach hatten sie sich heftig gestritten.
Und nun war der Hof von grauen Kieseln bedeckt, die unter den Reifen knirschten.
Er sah, daß im Nebengebäude Licht brannte.
Beim nächsten Mal kann es mein Vater sein, fuhr es ihm plötzlich durch den Kopf.
Nächtliche Mörder, die ihn für ein geeignetes Opfer eines Überfalls, vielleicht eines Mordes halten.
Niemand würde seine Hilferufe hören. Nicht bei diesem Wind und mit fünfhundert Meter Abstand bis zum nächsten Nachbarn, der auch schon ein alter Mann war.
Er hörte das ›Dies Irae‹ zu Ende, bevor er aus dem Auto stieg und den Rücken streckte.
Er ging durch die Tür des Nebengebäudes, in dem das Atelier seines Vaters lag. Dort malte er seine Bilder, so wie er es immer getan hatte.
Dies war eine von Kurt Wallanders frühesten Kindheitserinnerungen. Wie sein Vater immer nach Terpentin und Öl gerochen hatte. Und wie er ständig in einem dunkelblauen Overall und abgeschnittenen Gummistiefeln vor seiner beklecksten Staffelei gestanden hatte.
Erst als Kurt Wallander fünf oder sechs Jahre alt geworden war, hatte er begriffen, daß sein Vater nicht all die Jahre an ein und demselben Bild malte.
|45| Es war nur das Motiv, das sich nie änderte.
Er malte eine melancholische Herbstlandschaft mit einem spiegelblanken See, einem gekrümmten Baum mit entlaubten Zweigen im Vordergrund, und ganz hinten am Horizont waren flüchtig in Wolken gehüllte Gebirgsketten zu erkennen, die in einer unrealistisch grellen Abendsonne schimmerten.
Von Zeit zu Zeit fügte er auf der linken Seite des Bildes einen auf einem Baumstumpf sitzenden Auerhahn hinzu.
In regelmäßigen Abständen wurde ihr Heim dann von Männern in Seidenanzügen und mit dicken Goldringen an den Fingern aufgesucht. Sie kamen in rostigen Lieferwagen oder in glänzenden amerikanischen Straßenkreuzern und kauften die Bilder, ob mit oder ohne Auerhahn.
So hatte sein Vater das ganze Leben ein und dasselbe Motiv gemalt. Durch seine Bilder, die auf Märkten oder Auktionen verkauft wurden, hatten sie ihr Auskommen gehabt.
Sie hatten außerhalb von Malmö, in Klagshamn, in einer alten umgebauten Schmiede gewohnt. Dort war Kurt Wallander mit seiner Schwester Kristina aufgewachsen, und ihre Kindheit war immer von einem satten Terpentingeruch umweht gewesen.
Erst als sein Vater Witwer geworden war, hatte er die alte Schmiede verkauft und war aufs Land gezogen. Den Grund dafür hatte Kurt Wallander eigentlich nie verstanden, da sein Vater ständig über die Einsamkeit klagte.
Kurt Wallander öffnete die Tür zum Nebengebäude und sah, daß sein Vater an einem Bild malte, auf dem der Auerhahn fehlte. Jetzt malte er gerade den Baum im Vordergrund. Er brummte eine Begrüßung und setzte seine Malerei fort.
Kurt Wallander goß sich aus der schmutzigen Kanne, die auf einem qualmenden Spirituskocher stand, eine Tasse Kaffee ein.
Er sah seinen fast achtzig Jahre alten Vater an. Er war klein und zusammengesunken, strahlte aber trotzdem Energie und Willenskraft aus.
|46| Werde ich genauso aussehen wie er, wenn ich alt bin? dachte er.
Als Kind sah ich meiner Mutter ähnlich. Jetzt ähnele ich meinem Großvater. Vielleicht sehe ich aus wie mein Vater, wenn ich alt bin?
»Nimm dir eine Tasse Kaffee«, sagte sein Vater. »Ich bin gleich fertig.«
»Das habe ich schon«, erwiderte Kurt Wallander.
»Dann nimm dir eben noch eine«, sagte der Vater.
Aha, schlechte Laune, dachte Kurt Wallander. Sein unberechenbares Temperament macht ihn zu einem Tyrannen. Was hat er eigentlich gegen mich?
»Ich habe viel zu tun«, sagte Kurt Wallander, »muß die ganze Nacht arbeiten. Ich habe es so verstanden, als ob du etwas Bestimmtes wolltest.«
»Warum mußt du die ganze Nacht arbeiten?«
»Ich muß im Krankenhaus Wache halten.«
»Warum? Wer ist krank?«
Kurt Wallander seufzte. Obwohl er selbst schon Hunderte von Verhören durchgeführt hatte, würde er die Beharrlichkeit, mit der sein Vater ihn ausfragte, niemals erreichen. Und das, obwohl sein Vater nicht eine Spur von Interesse an seinem Beruf als Polizist zeigte. Kurt Wallander wußte, daß es seinen Vater tief enttäuscht hatte, als er sich mit achtzehn Jahren entschlossen hatte, Polizist zu werden. Aber es war ihm nie gelungen zu ergründen, welche Erwartungen sein Vater eigentlich an ihn gehabt hatte.
Er hatte versucht, mit ihm darüber zu reden, aber es hatte nie funktioniert.
Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen er seine
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